SAP-Vorstandssprecher Bill McDermott spricht zum Auftakt des Weltwirtschaftsforums in Davos über Customer Experience und die Vision, die Abläufe der weltweiten Wirtschaft und das Leben der Menschen verbessern. Wir müssen das „Vertrauensdefizit” überbrücken und uns auf das konzentrieren, was uns verbindet, anstatt auf das, was uns trennt, so McDermott.
All zu leicht konzentrieren wir uns auf das, was uns trennt. Politik, Religion, Kultur … Oft sehen wir nur die Unterschiede in der Welt. Diese Unterschiede sind real und das ist per se kein Problem. Wir dürfen uns schlicht nicht darüber definieren lassen, was aber allzu oft der Fall ist.
Wenn wir uns nur auf die Unterschiede konzentrieren, wird uns das nicht helfen, einen gleichberechtigen Zugang zu einer wachsenden Wirtschaft zu ermöglichen. Es wird uns nicht dabei helfen, unsere Umwelt zu schützen. Auch wird es nicht die Gesellschaft dazu bewegen, geschlossen unsere größten Herausforderungen anzugehen. Es gibt genug Pessimismus auf der Welt.
Wir müssen unsere Gemeinsamkeiten aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Schließlich ist Optimismus der einzige innere Antrieb auf dieser Welt, der uns nichts kostet. Wenn wir wirklich eine bessere Zukunft schaffen wollen, brauchen wir dafür eine neue Grundlage.
Bedenken wir: Unsere Sicht auf die Welt wird von unseren persönlichen Erfahrungen geprägt. Davon, wie wir uns als Verbraucher verhalten, wie wir arbeiten, wie wir leben und wie wir lernen. Das verbindet uns.
Jede Erfahrung, die wir machen, ist ein wichtiger Baustein in unserem Leben. Wir sind nicht einfach nur passive Beobachter. Wir können eine wesentliche Rolle im Leben anderer Menschen spielen oder wir können der Held unseres eigenen Lebens sein. Viele von uns hatten als Kinder große Träume. Als wir älter wurden, merkten wir, dass sich der Erfolg nicht von alleine einstellt. Niemand hat uns etwas geschenkt. Jeder Kampf und jede Niederlage hat uns nur stärker gemacht und unseren Willen und unsere Entschlossenheit gestärkt.
Ganz gleich, was in der Vergangenheit geschehen ist. Wir haben die Möglichkeit, unsere zukünftigen Erlebnisse aktiv zu gestalten. Der Schriftsteller Will Durrant schrieb in Anlehnung an Aristoteles: „Wir sind das, was wir regelmäßig tun. Vortrefflichkeit ist daher keine Handlung, sondern eine Gewohnheit.“ Das ist mehr als nur Philosophie. Wir sind alle Teil eines aktiven Prozesses. Er ist voller Emotionen und fußt auf Vertrauen, dem höchsten Gut im menschlichen Zusammenleben.
Die Vertrauenslücke
Wo Vertrauen herrscht, können wir gewaltige Fortschritte machen und unsere größten Herausforderungen als unsere größten Chancen nutzen. Ohne Vertrauen können wir nichts bewegen. Kleine Hindernisse werden dann unüberwindbar. Was uns trennt, ist dann stärker als das, was uns verbindet.
Für den Einzelnen ist es schwierig, aber nicht unmöglich, diese Herausforderungen alleine in Angriff zu nehmen. Doch gemeinsam können wir viel bewirken. Die meisten Menschen wollen sich darauf verlassen können, dass die Institutionen, mit denen sie täglich zu tun haben, d. h. Unternehmen, Behörden und gemeinnützige Organisationen, sich um diese großen Probleme kümmern. Sie wollen sich aktiv an der Lösung dieser Probleme beteiligen.
Der Wille ist da. Aber wo ist das Vertrauen?
Daten belegen, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit in viele dieser Institutionen einen historischen Tiefpunkt erreicht hat. Diese Lücke zwischen den Wünschen und den Erwartungen der Menschen, mit anderen Worten, das Vertrauensdefizit, hat verheerende Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Oder wie António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, im September sagte, als er die 73. Sitzung der UN-Generalversammlung eröffnete: „Unsere Welt leidet an einer schweren Vertrauensdefizitstörung.“
„Das Vertrauen steht vor der Zerreißprobe. Vertrauen in nationale Einrichtungen. Vertrauen unter den Staaten. Vertrauen in eine auf Regeln basierende Weltordnung“, betonte er. „Die Bürger verlieren das Vertrauen in ihre Regierungen, Polarisierungen nehmen zu und der Populismus ist auf dem Vormarsch.“
Obwohl die Welt immer stärker vernetzt ist, zersplittern Gesellschaften mehr denn je. Dies erkannt zu haben, ist der erste Schritt zur Lösung dieses Problems.
Customer Experience: Ein offenes Ohr für die Stimmungen der Menschen haben
Institutionen müssen ihren Teil beitragen. Mobile und digitale Technologien sowie soziale Medien haben leider dazu geführt, dass sich unsere Kommunikationsfähigkeiten schneller weiterentwickelt haben als unsere Fähigkeit, zuzuhören. Heute kann jede Institution fast alles an ihre Hauptzielgruppen kommunizieren. Mit Videobotschaften, Fotos, Kurznachrichten oder Emojis sind wir in der Lage, fast alles auszudrücken, was wir wollen. Dann warten wir gespannt, wie viele Tausend oder Millionen Klicks wir für unseren einzigartigen Beitrag im Netz bekommen haben.
Leider versäumen wir damit den wahren Weg zu Einheit und Wohlstand.
Vielmehr müssen wir auf die Stimmungen der Menschen eingehen. Wenn wir den Mut haben, zuzuhören, werden wir lernen, dass sie genau wissen, worauf es ankommt. Heute sagen sie uns unmissverständlich, welche Probleme wir lösen sollen.
Sie möchten, dass wir umweltbewusster werden. Sie sind die ewigen Debatten über den Nutzen der Klimawissenschaft leid. Wenigstens sind wir uns alle über die Vorteile von Nachhaltigkeit einig.
Sie möchten, dass wir endlich Ernst machen mit der Gleichberechtigung. In den Medien empören wir uns gerne über Ungleichheiten. Gleichzeitig legen wir weiterhin unterschiedliche Maßstäbe an, indem wir zum Beispiel von „weiblichen Führungskräften“ sprechen. Die Menschen wissen, dass alles, was einer von uns tun kann, jeder von uns genauso tun kann.
Sie möchten, dass wir global denken, ohne unsere lokalen Gemeinwesen außer Acht zu lassen. Das ist eine enorme Herausforderung, denn viele zweifeln, dass wir dieses Gleichgewicht aufrechterhalten können. Deshalb gibt es Veranstaltungen wie das Weltwirtschaftsforum, um sich den Bedenken der Menschen zu stellen und Lösungswege zu finden.
Wie Führungskräfte den Weg weisen können
Um Fortschritte zu machen, können wir die Verantwortung für Veränderungen nicht einfach auf globale Konferenzen übertragen. Jede Führungskraft muss aktiv handeln. Der richtige und einzige Weg, Vertrauen wiederzugewinnen, besteht darin, die Menschen in den Fokus zu stellen. Dabei geht es nicht um irgendeinen Slogan, sondern um einen tiefgreifenden Wandel in der Interaktion von Institutionen mit einzelnen Personen.
In der heutigen Geschäftswelt, die vermehrt durch Erlebnisse bestimmt wird, sind die Meinungen der sieben Milliarden Verbraucher so wichtig wie noch nie. Emotionen beeinflussen Verhalten, Treue und Zufriedenheit. Nutzer treffen Kaufentscheidungen auf Grundlage unterschiedlicher Faktoren, nicht nur aufgrund des Preises. Wir wenden uns Marken zu, die unsere Träume verkörpern – und meiden diejenigen, die das nicht tun. Das hat gravierende Folgen für Unternehmen jeder Art.
Wie der Forscher Hal Gregersen immer wieder hervorhebt, müssen wir uns wieder angewöhnen, gute Fragen zu stellen. „Wer sind meine Kunden?“, „Was denken sie?“, „Was soll ich ihrer Meinung nach ändern, um ihr Leben zu verbessern?“
Mit den heutigen Werkzeugen kann jede Institution diese Stimmungen erfassen. Das war früher nur für ausgefeilte politische Kampagnen möglich. Es geht weit über eine Meinungsumfrage oder Fokusgruppe hinaus. Hier muss ein weitreichender Kulturwandel stattfinden, der jeden innerhalb einer Institution für die Menschen außerhalb der Institution sensibilisiert.
Richtungsweisende Institutionen werden hier nicht nur zuhören, sondern individuelles Feedback auch nutzen, um das Kundenerlebnis konkret zu verbessern.
Wenn uns das gelingt, werden wir beweisen, dass die Lücke nicht so groß ist, wie die Menschen befürchten. Wir werden zeigen, dass jedes menschliche Erlebnis genauso die Zukunft verändern kann, wie unsere eigenen Erfahrungen unsere persönliche Sichtweise geprägt haben.
Der Kunde entscheidet
Die folgende Aussage haben wir alle bereits unzählige Male gehört: „Junge Verbraucher bleiben den Unternehmen treu, die einen positivem Beitrag zur Gesellschaft leisten.“ Die entsprechenden Statistiken bestätigen dies jedes Jahr aufs Neue.
Laut einer kürzlich veröffentlichten CSR-Studie von Cone Communications würden 90 Prozent der Verbraucher ein Produkt kaufen, wenn sich das Unternehmen für ein Thema einsetzt, das ihnen wichtig ist. Und fast 80 Prozent würden eine Marke boykottieren, wenn das Unternehmen eine Sache unterstützt, die ihren Werten widerspricht. Außerdem sind 63 Prozent aller Amerikaner zuversichtlich, dass Unternehmen auch ohne staatliche Vorschriften die Initiative ergreifen und in Zukunft gesellschaftliche und ökologische Veränderungen vorantreiben werden. Und 80 Prozent der Amerikaner sagen, Unternehmen sollten sich für wichtige Fragen der sozialen Gerechtigkeit stark machen.
Eine weltweite Umfrage (Brand Purpose in Divided Times), die von der Unternehmensberatung BBMG durchgeführt wurde, kam zu dem Ergebnis, dass zwei Drittel der Verbraucher Unternehmen unterstützen würden, die einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten. Umgekehrt wendet sich eine wachsende Zahl von Verbrauchern von Unternehmen ab, deren Werte sie ablehnen oder die ihre privaten Daten missbrauchen.
Viele Unternehmenslenker fragen sich, wie wir diesen Auftrag erfüllen können, ohne dass die Grenzen zwischen öffentlichem Sektor und Wirtschaft verschwimmen. Hier kann auf zahlreiche bewährte Methoden zurückgegriffen werden: Zum einen schafft der Einsatz neuer Technologien mehr Transparenz. Man nehme zum Beispiel die Blockchain-Technologie. Auch wenn sie für viele Anwendungen noch in den Anfängen steckt, verspricht sie doch die sichere Einhaltung von Vorschriften in Lieferantennetzwerken. Sie gewährleistet dadurch effizientere, nachhaltigere und verantwortungsvollere Logistikketten.
Zum anderen stehen Entscheidern riesige Mengen an Stimmungsdaten zur Verfügung, mit denen sie jetzt die Themen, die Mitarbeitern und Kunden am Herzen liegen, direkt in Angriff nehmen können. Sie wissen damit ganz genau, wo den Menschen der Schuh drückt. So können auch Programme entwickelt werden, die Nutzer dazu animieren, auf digitalen Plattformen, die eine breite Wirkung erzielen, an einem gemeinsamen Ziel zu arbeiten. Zum Beispiel bieten spielerische Elemente in Anwendungen für die Versorgungswirtschaft die Möglichkeit, unmittelbar zum Schutz unseres Planeten beizutragen. Kunden werden hierbei kontinuierlich unterstützt, gemeinsam Energie zu sparen. Mit Systemen zur Spracherkennung haben wir außerdem bislang nur an der Oberfläche gekratzt.
Je mehr wir aktiv darüber nachdenken, wie Institutionen jeden einzelnen unterstützen können, desto mehr Treue (und Vertrauen) werden wir schaffen.
Die menschlichen Erfahrungen stehen an erster Stelle
Eleanor Roosevelt sagte: „Der Sinn des Lebens ist es schließlich, zu leben, bis an die äußersten Grenzen dessen zu gehen, was wir erfahren können, begierig und furchtlos nach immer neuen, reicheren Erfahrungen zu greifen.“
Meine Kollegen bei SAP verfolgen dieses hehre Ziel mit großem Mut und Entschlossenheit. Ich bin davon überzeugt, dass alle Führungskräfte in ähnlicher Weise durch ihre großartigen Mitarbeiter inspiriert werden können.
Wie alle intelligenten Unternehmen wissen wir, dass eine große Organisation auch eine große Verantwortung hat. Wir nehmen diese Verantwortung ernst. Wahre Führungsstärke bemisst sich nicht daran, was man nimmt, sondern was man gibt.
Wenn das Vertrauensdefizit wächst, leiden auch die menschlichen Erfahrungen darunter. Wir alle, die wir uns mit Begeisterung dafür einsetzen, die Abläufe der weltweiten Wirtschaft und das Leben von Menschen zu verbessern, werden unermüdlich daran arbeiten, dass es nicht soweit kommt.