Schenkt man aktuellen Prognosen Glauben, so stehen wir an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter. Dank Künstlicher Intelligenz (KI) werden unsere Autos bald von Maschinen gefahren und unsere Einkäufe von Drohnen auf einen Landeplatz direkt vor unserer Haustür geliefert.
Wir müssen nur noch ein wenig mehr an KI feilen, um den Schritt in die Zukunft zu machen.
KI ist jedoch bereits Teil des modernen Lebens geworden – nicht nur in Form von selbstfahrenden Autos und Lebensmitteleinkauf per Drohneneinsatz, sondern auf ganz subtile Weise. Dank der aktuellen Fortschritte bei maschinellem Lernen und Deep Learning, zweier Teilbereiche von KI, wird die Technologie nun in vielen verschiedenen Bereichen eingesetzt, angefangen bei digitalen Assistenten wie Google Assistant, Alexa und Siri bis hin zu Plattformen für Customer Relationship Management (CRM) – und das mit steigender Tendenz. Der weltweite Umsatz für kognitive und KI-Systeme soll laut Analystenhaus IDC bis 2022 auf 9,5 Milliarden US-Dollar steigen, fast das Fünffache der 2017 umgesetzten zwei Milliarden Dollar.
KI beruht auf zwei essentiellen Faktoren: Einer großen Menge an sauberen und leicht zugänglichen Daten und einer enormen Rechenleistung. In der Vergangenheit war beides äußerst kostspielig. In den letzten Jahren ist jedoch sowohl die Datenspeicherung als auch die Rechenleistung um einiges kostengünstiger und schneller geworden. Zu verdanken ist dies dem Siegeszug der Cloud-Technologie und den Verbesserungen auf dem Gebiet der Datenspeicherung, zum Beispiel der Umstellung auf Flash-Technologie.
Realistische Grafiken bei Computerspielen
Die rasanten Fortschritte im Bereich KI haben jedoch noch eine ganz andere, ungeahnte Ursache: Die immer realistischere Grafik von Computerspielen. Während ein Spieler sich durch eine virtuelle Landschaft bewegt, müssen ständig neue Umgebungen dargestellt werden. Die dafür notwendige Rechenleistung ist enorm und führte zur Entwicklung von immer leistungsstärkeren Grafikprozessoren, die parallele Datenverarbeitung unterstützen. Diese parallele Verarbeitung ist auch die Grundlage für künstliche Intelligenz und andere komplexe Rechenprozesse.
Hersteller von Grafikprozessoren sorgen dafür, dass ihre Prozessoren anspruchsvolle parallele Rechenoperationen unterstützen, die beeindruckende Grafiken auf dem Bildschirm ermöglichen. Diese Grafikprozessoren reduzieren außerdem mathematische Vorgänge um ein Vielfaches. Das bedeutet, dass sie dazu konzipiert sind, auch einfachere Rechenvorgänge auszuführen – und damit genau die mathematischen Berechnungen, die auch Teil des maschinellen Lernens sind.
„Die Prozessoren arbeiten in Sekundenschnelle“, erklärt Eric Kavanagh, CEO der Bloor Group, eines Unternehmens für Technologieanalysen. Unternehmen fanden so heraus, dass Grafikprozessoren auch für Anwendungen außerhalb der Computerspiele-Industrie äußerst effektiv eingesetzt werden können.
Analysten verweisen vor allem auf einen bestimmten Hersteller von Prozessoren: „Insbesondere die Grafikprozessoren von NVIDIA haben erheblich zur Steigerung der Rechenleistung beigetragen“, so Patrick Moorhead, President und Principal Analyst beim Technologieberater Moor Insights & Strategy.
Schätzungen zufolge liegt der Marktanteil des im Silicon Valley ansässigen Unternehmens NVIDIA im Bereich Grafikprozessoren bei etwa 70 Prozent. Die Prozessoren des Herstellers werden auf vielfältige Weise eingesetzt: von Supercomputern für Wissenschaftler zur Erforschung von Wettersystemen, nuklearen Explosionen und den Anfängen des Universums bis hin zur wachsenden Zahl an KI-gestützten Unternehmensanwendungen, die von Technologieriesen wie der SAP entwickelt werden.
Grafikprozessoren nicht nur für Computerspiele
Die Leistungsstärke moderner Grafikprozessoren und die enorme Menge an Rohdaten sind die treibende Kraft hinter dem aktuellen KI-Boom in allen Branchen: im Gesundheitswesen, Produktdesign, Einzelhandel sowie in der Forschung und der Fertigungsindustrie.
Ein Algorithmus für maschinelles Lernen „lernt“ fast so wie ein Mensch: Durch Praxis und Erfahrung – sprich Daten – wird der Algorithmus im Laufe der Zeit immer besser bei der Ausführung bestimmter Aufgaben. Ein Algorithmus kann riesige Mengen an historischen Daten verarbeiten und Muster und Zusammenhänge erkennen. Maschinelles Lernen und Deep Learning bauen im Grunde auf dem Prinzip der Mustererkennung auf – und zwar ein einem Maßstab, der weit über die Fähigkeiten von Menschen hinausgeht.
Die SAP hat Zugriff auf viele der Daten, mit denen Systeme für maschinelles Lernen und KI optimal trainiert werden können. Zudem kann die SAP die Systeme sozusagen „blind“ trainieren – es ist nicht nötig, die Dateninhalte zu kennen.
„All das bietet großen Mehrwert für das Marketing“, betont Kavanagh. Algorithmen für maschinelles Lernen können eine Vielzahl an Variablen berücksichtigen: Wann hat ein Kunde sich gegen den Kauf eines Produkts entschieden? Wie war das Wetter an diesem Tag? Zu welcher Tageszeit nehmen Kunden normalerweise ein Telefongespräch entgegen? Der Algorithmus kann dann auf Grundlage dieser Muster entsprechend Erinnerungen an das Vertriebs- oder Marketingteam senden. Je mehr Daten der Algorithmus aufnimmt, desto präziser wird er. Er „lernt“ sozusagen.
„Maschinelles Lernen kann uns heute vor allem lästige Aufgaben abnehmen“, erklärt Kavanagh. Einige dieser mühsamen Aufgaben mussten in der Vergangenheit von Menschen erledigt werden. Automatisierung und KI bringen erhebliche Effizienzsteigerungen in manchen Bereichen, aber sie können auch Grund dafür sein, dass einige Menschen ihre Arbeit verlieren.
„Meiner Meinung nach müssen wir mit Nachdruck für Weiterbildungsmaßnahmen in der breiten Bevölkerung sorgen“, so Moorhead. „Ich denke, dass wir in der postindustriellen Revolution gerade in der westlichen Welt erheblichen Nachholbedarf auf diesem Gebiet haben.“
Moorhead ist jedoch davon überzeugt, dass auch neue Arbeitsplätze geschaffen werden. KI packt einige langweilige Aufgaben an, die der Mensch nie in Erwägung gezogen hätte – die Datensätze und Menge an Variablen wäre einfach zu groß und komplex. Maschinelles Lernen erschließt der Welt neue Informationen und Zusammenhänge. Und das kann zu neuartigen Arbeitsplätzen führen.
Andrea Mustain ist in New York als freie Journalistin für die SAP tätig.