Zwei neue Dispositionsmerkmale verbinden die Vorteile der bestehenden plangesteuerten und der verbrauchsgesteuerten Disposition im Supply Chain Management miteinander. Demand Driven ermöglicht, ohne Prognose verbrauchsgesteuert zu disponieren, aber mit Vorschau. Theory of Constraints eignet sich besonders, wenn gute Prognosen schwer zu erstellen sind.
Wer in den letzten Jahren in Unternehmen mit der Disposition zu tun hatte, wird besonders zwei Dispositionsverfahren gut kennen – die plangesteuerte und die verbrauchsgesteuerte Disposition. Das kurz PD (für plangesteuerte Disposition) genannte Dispositionsmerkmal setzt für die Planung auf eine Prognose und muss dafür in der Regel auf Daten aus der Vergangenheit oder verlässliche Kundenauftragsdaten zugreifen können. „VB“ (für verbrauchsgesteuerte Disposition) hingegen verzichtet auf eine Nutzung der Prognose zur Erzeugung einer längerfristigen Vorschau und nutzt den Meldebestand als Trigger für Bestellungen und Produktionsaufträge. In der Praxis wird für einzelne Produkte PD, für andere VB eingesetzt, je nachdem ob sich der Aufwand für eine Prognose lohnt.
Eine Prognose der Bedarfe ist aufwändig
Wenn beispielsweise ein Konsumgüterhersteller, der Waschpulver in großen Mengen absetzt, für die Planung eine Prognose mit plangesteuerter Disposition (also PD) einsetzt, lohnt sich das besonders deswegen, weil Waschmaschinen kontinuierlich im Einsatz sind. „Es ist mit vergleichsweise geringen unerwarteten Schwankungen in der Nachfrage von Waschpulver zu rechnen“, sagt Ferenc Gulyássy, Berater im Bereich SCM Consulting Solutions von SAP. Doch nicht in allen Branchen ist eine Prognose vergleichsweise einfach und verlässlich zu erstellen. So gibt es etwa in der Maschinenbaubranche Unternehmen, deren Planer mehrere hunderttausend Materialien zu planen haben. „Hier ist der Aufwand zu hoch, für jedes Material eine detaillierte Prognose zu erstellen“, so Gulyássy. Für die aktiven Posten setzen viele Unternehmen deshalb pauschal statistische Algorithmen zur Prognose ein. Doch können bei dieser Automatisierung spezifische Aspekte bestimmter Materialien nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Push-Steuerung in der Beschaffung: Prognose stimmt nur in maximal 80 Prozent der Fälle
Diese auch „Push-Steuerung“ genannte plangesteuerte Disposition hat den Nachteil, dass „Mengen in den Prozess hineingedrückt werden, obwohl man den Bedarf des Kunden nicht so genau kennt“, wie Gulyássy sagt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Prognose wirklich zutrifft, liegt seiner Schätzung nach in der Regel selbst bei guter Prognose nur bei 70 bis 80 Prozent. Nachteile der auch als „Pull-Steuerung“ bezeichneten verbrauchsgesteuerten Disposition liegen hingegen darin, dass die langfristige Sicht verloren geht. Lieferanten sind jedoch auf diese Vorschauzahlen angewiesen, um zuverlässig Teile produzieren und liefern zu können und geben den Auftraggebern sogar Rabatte, sofern die Prognosen zur Verfügung stehen. Auch die Kapazitätsplanung bzw. die Verfügbarkeitsprüfung benötigt eine Vorschau über zukünftige Mengen, die standardmäßig bei der verbrauchsgesteuerten Disposition nicht möglich ist. Ein Mix aus Push und Pull wäre also ideal.
Plan- und Verbrauchssteuerung: Beide Dispomerkmale haben ihre Vorteile
Der Mittelweg der Unternehmen liegt darin, je nach Material oder Materialgruppe die Pull- und Push-Steuerung einzusetzen. „Das erfordert eine Klassifizierung aller Materialien“, sagt Gulyássy. So könnte etwa der Einkauf verbrauchsgesteuert disponieren, andere Abteilungen allerdings plangesteuert. Dann bekämen die Lieferanten zwar keinen Forecast. Dafür wären jedoch im Unternehmen präzise Kapazitätsplanungen und Verfügbarkeitsprüfungen möglich. In der Praxis führt dieser Mittelweg dazu, dass die Steuerung der Ressourcen nicht optimal ist, da die entstehende Unsicherheit in der Regel durch Puffer aufgefangen wird. Es kann dazu kommen, dass die Verfügbarkeit der Produkte nicht ausreicht, manchmal aber auch die Bestände in Lagern zu hoch sind. „Es kann passieren, dass im 3-Schicht-Betrieb produziert wird, obwohl ein 2-Schicht-Betrieb ausgereicht hätte“, erläutert Gulyássy, „oder es werden teure und leistungsfähigere Maschinen angeschafft, um im Bedarfsfall flexibel zu sein, obwohl dies gar nicht nötig gewesen wäre.“
Demand Driven Planning und Theory of Constraints als Basis
Die beiden neuen Dispositionsmerkmale nutzen die Vorteile der Push- und Pull-Methoden, wobei sie jeweils den Schwerpunkt auf eine der beiden Vorgehensweisen legen. Sie haben ihre Ursprünge in der Abbildung der Planungsphilosophien Demand Driven Planning (bedarfsorientierte Wiederbeschaffungsplanung) bzw. Theory of Constraints (engpassorientierte Planung), die mit den SAP SCM Consulting Solutions seit Release 2018 möglich sind. Die Idee ist dabei, den optimalen Mix zwischen Pull- und Push-Steuerung nicht zwischen den Materialien herzustellen, sondern für jedes einzelne Material die Vorteile der beiden Dispositionsverfahren gleichzeitig nutzen zu können. Und dies ohne im mehrstufigen Kontext die Information über zukünftige Mengen zu verlieren.
Die Vorteile der bedarfsorientierten und verbrauchsgesteuerten Disposition im SCM nutzen
Hierfür stellt SAP mit der Lösung SAP SCM Consulting Solution Customized MRP Type (SAP SCM CS CMT) eine Option bereit, um zwei neue Algorithmen einsetzen zu können. Der „DD“ (für Demand-Driven) genannte bedarfsorientierte Ansatz setzt auf der verbrauchsgesteuerten Disposition auf, die allerdings durch plangesteuerte Aspekte wie vor allem die Vorschaufunktion ergänzt wird und bei Bedarf auch so genannte Sekundärbedarfe mit berücksichtigt. Der „TC“ (für Theory of Constraints) genannte Ansatz hingegen setzt auf der Plansteuerung auf, orientiert sich aber für die operative Auslösung von Beschaffungs- oder Produktionsvorschlägen auch am Meldebestand – verfügt also über eine eingebettete verbrauchsgesteuerte Disposition. Operativ wird dabei verbrauchsgesteuert disponiert, während gleichzeitig für die langfristige Sicht eine Plansteuerung zur Erzeugung einer Vorschau vorgenommen wird. Dies passiert in beiden Fällen jeweils nicht in einer simulativen Umgebung, sondern direkt im produktiven Geschehen. „Das bedeutet, dass jeder Planer sofort in der aktuellen Bedarfs-, bzw. Bestandsliste die volle Transparenz über den kompletten Planungszeitraum nutzen kann“, so Gulyássy.
DD und TC für die Planung: Vier Vorteile auf einen Blick
Künftig kann ein Unternehmen – egal ob es SAP ECC oder SAP S/4HANA im Einsatz hat – für seine Materialbedarfsplanung neben den bekannten einfach einen der neuen Algorithmen auswählen. Voraussetzung: Die oben genannte Lösung SAP SCM CS CMT kommt zum Einsatz.
Die Vorteile auf einen Blick:
- Beide neuen Verfahren ermöglichen eine Vorschau über zukünftige Mengen. Sie wird aus bekannten Kundenaufträgen berechnet oder basiert auf einer Prognose und fließt über alle Stufen in die Planung der gesamten Stücklisten- und Distributionsstruktur ein.
- Die Kapazitätsplanung, Lieferantenvorschau und die Verfügbarkeitsprüfung (bekannt aus der plangesteuerten Disposition) kann immer genutzt werden.
- Die Steuerung der operativen Wiederbeschaffung erfolgt auf Basis der Verbrauchssteuerung. Vorteil: Unnötige Puffer fallen weg, die aufgrund fehlenden Informationen in untergeordneten Stücklisten- und Distributionsebenen bisher oft nötig wurden.
- Die Vorschau lässt sich direkt aus der operativen Umgebung erzeugen. Die Nutzung einer zweiten, simulativen Umgebung, wie sie beispielsweise die Langfristplanung für verbrauchsgesteuerte Materialien zur Erzeugung einer Vorschau darstellt, ist nicht nötig.
DD: Der reaktivere Bruder des TC
Die zwei Add-ons für SAP ECC und SAP S/4HANA wurden von SAP Consulting gemeinsam mit Kunden entwickelt. Für ein Werkzeugbauunternehmen aus der Schweiz sieht Gulyássy den konkreten Vorteil von TC darin, dass er „ohne den Mehraufwand einer Prognose verbrauchsgesteuert disponieren kann – und trotzdem eine Vorschau hat.“ Während ein anderes Unternehmen aus dem Maschinenbau auf „DD“ setzt, den „reaktiven“ Bruder von TC, der besonders geeignet ist, wenn Prognosen schwer zu treffen sind.
Weitere Informationen
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