Viele Treasury-Abteilungen zögern, an der Migration zu SAP S/4HANA teilzunehmen. Dabei eröffnet eine zentralisierte IT enorme Vorteile – wenn man das Projekt richtig anpackt. Fachexperten von EY erklären, worauf es bei der Planung und Durchführung ankommt.
„Unternehmen behandeln die digitale Integration ihres Treasury oft stiefmütterlich“, sagt Thomas Schmidt, verantwortlicher Partner für SAP Treasury bei EY. „Sie starten das Großprojekt einer SAP S/4HANA-Migration, holen aber die entsprechenden Kollegen erst an den Tisch, wenn bereits die Umsetzung läuft.“ Dabei ist es enorm wichtig, diese Themen schon in die Planung einfließen zu lassen. Sonst gibt es unweigerlich Probleme bei der Implementierung und die Vision einer zentralisierten Systemlandschaft steht auf der Kippe.
So sieht es auch Carsten Jäkel, Partner, Global Treasury Services bei EY: „CFOs und Projektleiter dürfen nicht Gefahr laufen, dass ein wichtiger Bereich außen vorgelassen wird, oder besser gesagt: sich selbst aktiv außen vorlässt.“
Treasury – eine Insel?
Warum haben viele Migrations-Projektteams die Steuerung ihrer Zahlungsströme nicht – oder nicht früh genug – auf dem Schirm? Dafür gibt es verschiedene Gründe.
„Wer ein Non-SAP-Treasury-System einsetzt, hat den Bereich schlicht nicht auf dem Radar“, sagt Michael Baum, Director im Bereich Global Treasury Services bei EY. „Denn die IT betrachtet ja in erster Linie die SAP-Module, die aktuell im Einsatz sind. Was in dieser Liste nicht auftaucht, fällt durch das Raster.“ Hinzu kommt häufig aktiver Widerstand aus der Abteilung. Die wenigsten Treasurer wollen ihre Prozesse auf eine ganzheitliche Plattform bringen. Stattdessen pochen sie auf das Gewohnheitsrecht: Sie wollen auf ihrer Insel bleiben, mit eigener Struktur, eigenen Abläufen, eigenen Systemen. Jäkel dazu: „Treasury-Verantwortliche argumentieren häufig, ihre Prozesse seien etwas Besonderes, neue Technologien für sie aktuell noch nicht relevant. Doch ein Blick über den Tellerrand zeigt: Das ist ein Trugschluss.“
Das Gesamtbild zählt
Den Verantwortlichen, die für das Treasury einen Sonderstatus reklamieren, ist oft nicht bewusst, dass ihre Abteilung ein wichtiges Puzzleteil in der gesamten Migration ist. Es existieren zahlreiche Überschneidungen zu anderen Prozessen und Abteilungen.
Laut EY sind die wichtigsten:
- Zahlungsverkehr
- Kontoauszugsverarbeitung
- Struktur von Haupt- und Nebenbuch
- Stammdatenprozesse
- Liquiditätssteuerung und Risikomanagement
- Interne Verrechnungsprozesse zwischen Gesellschaften
„Um ein Bewusstsein für die gegenseitigen Abhängigkeiten zu schaffen, muss man die verschiedenen Abteilungen an einen Tisch bekommen“, sagt Schmidt. „Die Kollegen müssen die Schnittstellen im Prozess verstehen. Treasury sagt beispielsweise: Wir stellen euch die fertigen Bewertungen der Finanzderivate zur Verfügung, ihr müsst sie lediglich buchen. Welch großer Abstimmungsaufwand dadurch auf der anderen Seite – dem Accounting – entsteht, verstehen die wenigsten.“
Von Zahlmeistern zu Strategen
Das Treasury hätte eigentlich schon aus Eigennutz allen Grund, sich der neuen, integrierten Welt zu öffnen und die eigenen Prozesse gründlich auf den Prüfstand zu stellen. Statt spezieller Reporting-Lösungen, Überleitungen und Abstimmungen hat die Abteilung jetzt die Chance, sich vollständig in die unternehmensweite Planungs- und Reporting-Umgebung zu integrieren. Das eröffnet Möglichkeiten, denn viele der neuen Funktionen gab es in der „alten“ SAP-Welt noch nicht.
Besonders spannend sind die neuen Analysefunktionen in SAP S/4HANA. Treasurer, die sich auf ihrer Insel abschotten, müssen beispielsweise die Ein- und Auszahlungen anhand der eingehenden Kontoauszüge prüfen und aufwendig mit der Planung abgleichen. Denn nur durch eine Integration in die Finanzbuchhaltung steht die vollständige Belegkette für die automatische Ist-Zuordnung von Zahlungsströmen zur Verfügung. Im Vergleich zur alten SAP-Welt ist das Reporting zudem wesentlich flexibler, detaillierter und auch grafisch ansprechender geworden.
SAP S/4HANA versetzt das Treasury zudem in die Lage, sich vom bloßen Bearbeiter von Transaktionen, der beispielsweise Zahlungen von A nach B überweist oder auf Exposure-Meldungen reagiert, zum Business-Partner weiterzuentwickeln. Denn nun stehen jederzeit die Informationen zu vergangenen und zukünftigen Cashflows in hoher Granularität bereit. Die Mitarbeiter sehen dann nicht nur die Ein- und Auszahlungen, sondern auch das Wofür. Und noch wichtiger: Sie haben die Informationen sofort vor Augen, nicht erst, wenn der Kontoauszug kommt. Zahlungen für den nächsten Monat oder das nächste Jahr lassen sich damit jetzt komfortabel vorausplanen. Mit den hierbei gewonnenen Erkenntnissen können dann auch Fremdwährungsexposures (etwa durch die Optimierung von Faktura-Währungen oder Änderungen im Prozess) effektiv verringert werden.
Darüber hinaus steigt die Transparenz im Tagesgeschäft. Die Verantwortlichen sehen beispielsweise, ob in einer Gesellschaft in den kommenden Tagen eine große Zahlung ansteht, von der sie nichts wissen. Dann können sie bei Bedarf ihre Kollegen dort anrufen und fragen, ob man die Zahlung anders steuern oder absichern kann.
Auch die Oberflächen und damit der Bedienkomfort des Systems wandeln sich grundlegend. Michael Baum gibt jedoch auch hier zu bedenken, wie wichtig eine solide Planung ist: „Die User Experience SAP Fiori sieht für den Nutzer ganz einfach aus, dahinter steckt jedoch eine komplexe Logik. Das erfordert bei der Migration unter Umständen weitere Kompetenzen für Frontend und Berechtigungskonzepte. Dem müssen Unternehmen vorab Rechnung tragen.“
Der Einzelfall entscheidet
Die EY-Experten ziehen ein klares Fazit: Unternehmen müssen das Treasury in all seinen Facetten sehr früh in ihre Migrationsprojekte integrieren. Wie genau das geht, hängt von der jeweiligen Ausgangssituation ab. Je nachdem, ob und in welchem Grad ein Unternehmen bereits eine SAP- oder eine Alternativlösung für sein Treasury Management nutzt und wie die Abteilung grundsätzlich aufgestellt ist. Pauschale Ablehnung ist genauso falsch wie blinder Aktionismus. Es braucht immer eine konkrete Einzelbetrachtung und eine Machbarkeitsanalyse.
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