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Technologie verspricht im Bereich Beschaffung große Vorteile, doch um ihr volles Potenzial ausschöpfen zu können, müssen wir umdenken. Das sind die Trends im Procurement.

Branchenbeobachter sagen seit Jahren einen Wandel im Beschaffungswesen vorher. Doch Initiativen zur Einführung neuer Technologie haben bisher enttäuschende Ergebnisse gebracht, wie die jüngste Untersuchung des britischen Berufsverbands Chartered Institute of Procurement and Supply (CIPS) belegt. Dieser Beitrag wirft ein Licht darauf, welche Ursachen diese Stagnation hat und was Führungskräfte tun können, um das Beschaffungswesen auf Zukunftskurs zu bringen.

Derzeit gibt es auf BBC eine hervorragende Podcast-Reihe mit dem Titel 50 Things That Made the Modern Economy. In einer der Episoden geht es um die erste Tabellen­kalkulation namens Visicalc – eine einfache Tabelle auf einem Computerbildschirm, die Anfang der 1980-er Jahre die Welt der Buchhaltung im Sturm eroberte. Als diese neuartige Tabellenkalkulation herauskam, machte sie 400.000 Buchhaltungs­fachkräfte mit einem Schlag überflüssig. Allerdings nur insoweit, als sie sich endlich die vielen stumpfsinnigen manuellen Routineaufgaben ersparen konnten, die den Großteil ihres Arbeitsalltags ausmachten. Sie alle konnten neue, stärker strategisch ausgerichtete Aufgaben übernehmen, die besser bezahlt waren.

In der Beschaffung agieren wir immer noch wie im prätabellarischen Zeitalter. Betrachten wir einmal eine typische Ausschreibung: Sie bestimmen die geschäftlichen Anforderungen, halten sie schriftlich fest und fordern die Lieferanten auf, sie einzuhalten. Ein klassisches Beispiel für die Konzentration auf den Input, statt auf den Output.

Mit Intelligenz zur effizienten Beschaffung

Auch das Beschaffungswesen braucht so einen „Visicalc-Moment“. Zwar haben 97 Prozent der Beschaffungsteams begonnen, entweder Maschinelles Lernen, Künstliche Intelligenz, Augmented Reality, das Internet der Dinge oder Blockchain in ihre Prozesse zu integrieren, wie Recherchen von CIPS ergaben, doch der Erfolg lässt sich bestenfalls als mäßig beschreiben. Die Ursache liegt in einer mangelnden Beachtung der Menschen. Angesichts der zunehmenden Verbreitung dieser Technologien müssen wir uns um die Menschen im gleichen Maße kümmern wie um die faszinierenden technischen Möglichkeiten – wenn nicht noch mehr.

Das ist keine Option, sondern eine dringende Notwendigkeit, da Ineffizienz und Fehler nach wie vor grassieren. Eine interessante Geschichte über eine Zuckerfabrik in den USA veranschaulicht die Tragweite von Fehlern in Beschaffungsprozessen. In diesem Betrieb hatte die Tatsache, dass die Kreditorenbuchhaltung Rechnungen nicht bezahlen konnte, zu einer kostspieligen Abschaltung des Werks geführt. Die Rechnungen eines Wartungsdienstleisters waren aufgrund einer Strategie der Finanzabteilung, einen höheren Kassenbestand aufrechtzuerhalten, nicht bezahlt worden. Wegen der unbezahlten Rechnungen weigerte sich der Dienstleister, Wartungsarbeiten auszuführen.

Es war die immer gleiche Geschichte mit der Bürokratie in einem großen Unternehmen: fehlende Unterlagen, unbeantwortete E-Mails, Mitarbeiter, die im Urlaub sind, falsch ausgewiesene Daten, ständige Überlastung durch die vielen gegenseitigen Kontrollen. Die Geschichte zeigt auch beispielhaft, dass das Kundenerlebnis und das Lieferantenerlebnis untrennbar miteinander verbunden sind – und dass Technologie zur Automatisierung und Vereinfachung von Beschaffungs­vorgängen weit reichende Auswirkungen auf sämtliche betrieblichen Abläufe haben kann.

Ein besserer Procurement-Ansatz 

Eine weiteres verbreitetes Problem besteht darin, dass zu viele kostenintensive Beschaffungsressourcen im Long-Tail-Bereich eingesetzt sind, ohne dass dies nennenswerte Ergebnisse bringt. Anders als die 80 Prozent der Ausgaben, die an Hauptlieferanten gehen, werden diese Long-Tail-Ausgaben – die mindestens 20 Prozent der Ausgaben, die auf überwiegend kleine, oft einmalige oder sporadische Aufträge an eine Vielzahl verschiedener Lieferanten entfallen – in den meisten Unternehmen nicht effektiv kontrolliert. Bemühungen für Kosten­einsparungen erweisen sich hier bisher als fruchtlos.

Wenn das Problem mit Long-Tail-Kosten und die damit verbundene Unwirtschaftlich­keit überwunden werden soll, muss in der Beschaffung ein Umdenken stattfinden: vom Anordnen zum Anleiten. Hier einige Tipps zur praktischen Umsetzung:

  1. Akzeptieren Sie die Suchmaschine. Erlauben Sie Beschaffungsteams den Zugriff auf Marktplätze, in denen Zehntausende von Lieferanten und Millionen von Produkten verfügbar sind. Geben Sie Ihren Mitarbeitern ein paar Leitplanken, aber innerhalb dieser freie Bahn, und machen Sie die Arbeit einfacher als Googeln und Bezahlen mit einer Kundenkarte.
  2. Halten Sie sich bei Genehmigungsanforderungen für kleine Posten zurück. Behalten Sie das Mitarbeitererlebnis im Blick und schenken Sie Vertrauen. Nutzen Sie Künstliche Intelligenz (KI) im Hintergrund, um potenzielle Betrugsfälle abzufangen.
  3. Erlauben Sie Endanwendern das Prinzip „drei Angebote – ein Kauf“ für Produkte oder Dienstleistungen, für die sie die Experten sind. Für viele Servicekategorien haben die Endanwender das umfassendste Know-how. Lassen Sie sie selbst wählen, mit wem sie Geschäfte machen möchten. Bringen Sie nur dann einen Kategorie-Manager ein, wenn Sie darum gebeten werden.
  4. Implementieren Sie eine einfache, mobile Navigation, sodass Ihre Mitarbeiter für alles, was sie einkaufen, den richtigen Pfad finden.

Untersuchen Sie darüber hinaus die Wertschöpfungskette genauer, um herauszufinden, welche sinnvollen geschäftlichen Ergebnisse Ihre Stakeholder wirklich erreichen wollen. Statt von den Lieferanten zu verlangen, eine Liste von vorbestimmten Anforderungen einzuhalten, geben Sie diese Informationen an potenzielle Lieferanten weiter und fordern Sie sie auf, das Stakeholder-Problem zu lösen. Das bedingt unter Umständen, dass diese Anbieter auf andere Weise liefern. Auch hier kann moderne Technologie helfen.

In Australien gewinnt dieser wertorientierte Ansatz zunehmend an Bedeutung, da immer mehr Unternehmen ihre Ziele an einen Sinn für die Gemeinschaft knüpfen – beispielsweise die Bewältigung der Plastikflut. Spannend ist, dass Unternehmen hierbei wirklich viel bewegen können, indem sie die oben beschriebenen Hinweise beherzigen und bei der Beschaffung ansetzten. Technologie wird dabei eine entscheidende Rolle spielen, denn sie erleichtert Unternehmen die Umstellung von betrieblichen Abläufen, vom Tracking und Tracing bis hin zum Dialog über erwünschte Ergebnisse mit Käufern und Lieferanten.

Wenn auch nur ein kleiner Anteil der globalen Ausgaben für Verpackung auf zertifizierte Lieferanten für recycelten Kunststoff und alternative Materialien umgeleitet wird, so kann dies schon enorme Auswirkungen haben – denn diese Unternehmen werden wachsen, von Skaleneffekten profitieren und dadurch ihre Produkte günstiger anbieten können, sodass letztlich nachhaltige Materialien breiter verfügbar und für Einkäufer wirtschaftlicher sind.

Das Beschaffungswesen kann bei der Sicherstellung von Nachhaltigkeit und der Schaffung von positiven Kundenerlebnissen eine Vorreiterrolle übernehmen. Durch die Fokussierung auf Menschen, Long-Tail-Lieferanten und innovative Herangehensweisen können wir sinnvolle Veränderungen bewirken.


Über den Autor: 

James Marland ist Global Vice President, SAP Center of Excellence for Spend Management.