Was macht eigentlich Blockchain? Die Erwartungen waren groß – ist die Technologie hinter ihnen zurückgeblieben? Wo und in welcher Form findet Blockchain inzwischen Anwendung? Die Experten von SAP geben Antworten.

Der „Blockchain-Winter“, der 2018 das Ende des Hypes um die Technologie einläutete, hat sich für SAP als nutzbringend herausgestellt. „Im Laufe von 2019 konnten wir unser gesammeltes Wissen konsolidieren und einen viel engeren Fokus auf ausgewählte Anwendungsfälle im Unternehmensumfeld richten“, sagt Torsten Zube, damals Leiter des SAP Innovation Center Networks. „Wir haben gemerkt, dass immer mehr Firmen sich ernsthaft mit Blockchain beschäftigt hatten und die Technologie immer besser verstanden.“

„Die Herausforderung liegt darin, die richtigen Fragen zu einem frühen Zeitpunkt zu stellen“, sagt Thomas Uhde, Leiter des Blockchain-Teams am SAP Innovation Center Potsdam. „Wir erleben es oft, dass Kunden uns ein Businessproblem zeigen und bereits davon ausgehen, dass es mit Blockchain gelöst werden muss. Zusammen müssen wir dann prüfen: ist das Problem, das wir lösen wollen, ein Fall für Blockchain oder nicht?“

Fälschungen entlarven

Ein solcher Fall für Blockchain war die Überprüfung von Pharmaretouren im Hinblick auf Fälschungen. „Das ist ein riesiges Problem weltweit“, sagt Oliver Nürnberg, Chief Product Owner von SAP Life Sciences. „Deshalb hatten die USA 2013 eine Regularie eingeführt, die auf dem US-Markt tätige Pharmaunternehmen zu strengen Kontrollen ihrer Rücksendungen verpflichtet. Mit Merck Sharp and Dohme hatten wir einen Kunden, der in Blockchain investieren wollte und der Anwendungsfall passte.“

Das Ergebnis war das Produkt SAP Information Collaboration Hub for Life Science. „Jede Produktpackung eines Pharmazeutikums, das in die USA geliefert wird, wird in die Blockchain unserer Lösung eingeschrieben“, erklärt Oliver Nürnberg. „Bei einer Retoure muss sich der Kunde nicht mehr selbst um die Verifikation kümmern, sondern betätigt eine App, die auf die Blockchain zugreift.“

Nachvollziehbarkeit durch Blockchain

Neben Verifikation ist Nachvollziehbarkeit einer der großen Vorteile, die die Blockchain-Technologie richtig angewandt liefern kann. Material Traceability Option, eine Blockchain-Erweiterung des SAP Logistics Business Network, liefert ein Gesamtbild der Lieferkette, beispielsweise für die Nahrungsmittel- und die Pharmabranche. „Die Frage, woher unser Essen kommt, beschäftigt sehr viele Menschen“, sagt Product Owner Christoph Huber. „Wir haben den Kunden dafür eine Cloud-Lösung vorgeschlagen, aber der Gedanke, dass ein Unternehmen – in diesem Fall SAP – die Datenbank verwaltet, in der alle an der Produktion beteiligten Firmen ihre Informationen hinterlegen, behagte ihnen nicht. Sie wollten den dezentralen Ansatz, den Blockchain möglich macht.“

Voraussetzung für diese Art von Szenario ist natürlich, dass sich alle Partner auf ein Blockchain-Netzwerk einigen können. „Man muss kein Großkunde mit eigener IT-Abteilung sein, um Blockchain zu nutzen“, sagt Thomas Uhde. Das hat das Blockchain-Projekt von GS1 zum Austausch von Europaletten gezeigt. In einem 6-monatigen Pilotprojekt konnten 30 Parteien – von der Gärtnerei mit 20 Mitarbeiten bis zu DHL und Beiersdorf – Teil des Netzwerks werden.

Dennoch: „Die Vision, dass eines Tages alle Firmen der Welt in einem einzigen Blockchain-Netzwerk zusammenkommen, ist schön, aber völlig unrealistisch“, sagt Uhde. „Es wird immer mindestens einen Geschäftspartner geben, der nicht teilnimmt. Das macht Interoperabilität so wichtig. Wir dürfen nicht einfach nur größere Silos bauen mit Enterprise-Blockchain-Netzwerken.“

Validierung von Notariatsservices möglich

Ursprünglich sollte Blockchain als eine Art Datenbank fungieren, auf die alle Teilnehmer des Netzwerks gleichberechtigten Zugriff haben. Doch es gibt Businessszenarien, wie etwa Streckengeschäfte, bei denen es ausdrücklich nicht erwünscht ist, dass alle Partner Einblick in sämtliche Details der Lieferkette bekommen. Uhde sagt: „Was wir stattdessen mit Kunden entwickelt haben, ist eine Art digitaler Notariatsservice auf der Blockchain, bei dem es weniger um den Austausch von Daten geht, als um deren Validierung.“

Flexible, auf den jeweiligen Anwendungsfall zugeschnittene digitale Kollaboration wird auch in Zukunft wichtiger Anwendungsfelder für Blockchain sein. „Ein flexibles Kollaborationsnetzwerk“, beschreibt Thomas Uhde das Ziel. „Einmal aufgebaut, kann die Verbindung zu den Businesspartnern für verschiedenste Szenarien weiterbenutzt werden. Einige können Blockchain beinhalten, andere nicht. Einige tauschen unkritische Daten via Blockchain, beispielsweise für Automatisierungsszenarien, anderen reicht die Notarisierung.“

Datenaustausch über Handel erleichtert

Tokenization ist ein weiterer Trend, mit dem sich die Blockchain-Experten von SAP beschäftigen. „Grob gesprochen versteht man darunter den Austausch von anderen Werten als Geld“, erklärt Torsten Zube. „CO2-Handel ist ein Beispiel dafür.“ In Zukunft könnte neben dem Preis in Euro oder Dollar jedes Produkt auch mit einem CO2-Wert ausgezeichnet sein. „Wir bezahlen wie gewohnt, müssen aber auch einen entsprechenden CO2-Wert zur Verfügung haben, der beispielsweise durch das Pflanzen von Bäumen ‚erwirtschaftet‘ wurde.“

Der CO2-Wert eines Produkts kann anhand von Produktstammdaten, Bewegungsdaten und dergleichen erfasst werden – angefangen beim Rohstoff über die Transportwege bis hin zu den Maschinen und Werkshallen, die für die Produktion nötig waren und deren CO2-Daten. „Das erfordert organisationsübergreifenden Datenaustausch über den CO2-Impact in Handels- und Lieferketten – und Blockchain ist dafür die geeignete Technologie“, sagt Uhde.

„Wir sind mit Enterprise Blockchain – um beim Gartner Hype Cycle zu bleiben – noch nicht ganz oben auf dem Plateau der Produktivität angelangt“, sagt Zube. „Aber wir sind auf einem guten Weg dahin.“


Lesen Sie hier: Ein Technologie-Trend wird erwachsen: Was ist aus dem Hype um Blockchain geworden? (Teil 1)