Gemeinsam und ganzheitlich: Wie Endress+Hauser und SAP zum Vorreiter in der Prozessindustrie wurden

Feature

Seit vielen Jahren beliefert SAP den Messtechnikhersteller Endress+Hauser mit Software. Nun entstand eine ganz neue Partnerschaft: Gemeinsamen Kunden bieten die Unternehmen statt einzelner Produkte ganzheitliche Lösungen an – mit deutlichem Mehrwert. Diese erfolgreiche Initiative stand auch Pate für die Open Industry 4.0 Alliance, der weitere Unternehmen beitreten können.

Endress+Hauser ist einer der weltweit führenden Hersteller von Messtechnik für die Prozessindustrie. Das Portfolio des Unternehmens ist umfassend: Die Geräte werden in Branchen wie Chemie, Energie und Kraftwerke, Grundstoffe und Metall, Lebensmittel, Life Sciences, Öl und Gas sowie Wasser/Abwasser eingesetzt. Dort liefern sie Daten unter anderem über Durchfluss, Druck und Temperatur oder Füllstand. Die Geräte müssen an sieben Tagen in der Woche zu jeder Sekunde verlässliche Werte liefern – um Produktqualität und Sicherheit zu gewährleisten. Die Voraussetzung dafür ist unter anderem eine exakte und verlässliche Kalibrierung – schon ab Werk – und die rechtzeitige Wartung.

Basis für Digitalisierung: SAP Business Technology Platform

Endress+Hauser ist schon lange Kunde der SAP. Nun verfolgt der Messtechnikhersteller im Rahmen der Digitalisierungsstrategie ambitionierte und richtungsweisende Ziele: zum Beispiel die ONE-ERP Strategie, mit der in den nächsten Jahren SAP S/4HANA auf der Basis komplett runderneuerter Prozesse unternehmensweit eingeführt werden wird. Auch Themen wie Data Analytics und Data Science werden konsequent umgesetzt. „Wir haben aktiv verfolgt und ein Stück weit dazu beigetragen, dass und wie SAP in den vergangenen Jahren im Bereich Cloud bei Data Centric Services bezüglich Ad-hoc-Analysen und auch maschinellem Lernen immer stärker wurde“, berichtet Andreas Buchdunger. Er verantwortet den Bereich Demand and Innovation beim IT-Dienstleister Endress+Hauser InfoServe.

Er weiß, innovative Services und Angebote sind der Schlüssel, um im digitalen Wandel erfolgreich zu sein und um datenbasierte Mehrwerte zu den Kunden zu bringen. Auf diese Weise wandelt sich Endress+Hauser immer mehr vom reinen Messtechnikproduzenten der Vergangenheit hin zu einem digitalen Dienstleister.

Eine wesentliche Basis hierfür ist die SAP Business Technology Platform, auf deren Grundlage die Endress+Hauser ‚Data Science Workbench‘ entstanden ist, die unter anderem einen zentralen Zugang zu einem Großteil an Daten von Endress+Hauser bietet. Experten arbeiten nun unternehmensweit mit dieser ‚Data inclusive‘ Plattform, um Analysen und neue Services zu erstellen. Von der dahinter liegenden technisch notwendigen Komplexität merken die Anwender wegen des einheitlichen Presentation Layers nichts. Sie können also mit den vorstrukturierten, validierten Daten auf Basis eines Datenkataloges arbeiten.

Übersicht auf Datenaustausch bei Endress+Hauser
Schematische Lösungsarchitektur bei Endress+Hauser. Immer wieder im Lebenszyklus eines Messgerätes fallen beim Kunden in der Anlage oder bei Endress+Hauser im Backend Daten an, die einen hohen Erkenntniswert haben und die nahtlos dem bestehenden Datenpool hinzugefügt werden.

Effiziente Kalibrierung für die Prozessindustrie

Bei Tausenden von Messpunkten in einem Betrieb ist die Kalibrierung sehr aufwändig, das heißt die Feststellung beziehungsweise Wiederherstellung der Messgenauigkeit der Geräte. In Ölraffinerien betragen die Wartungs- und Kalibrierungskosten teils zwischen drei und fünf Prozent der gesamten Betriebskosten. Hier sind folglich erhebliche Effizienzsteigerungen möglich.

Mit datengestützten Services lassen sich Kalibrier-Pläne optimieren, Abweichungen vorhersagen und damit Wartungskosten einsparen. Außerdem werden ungeplante Ausfallzeiten minimiert.

Wartungs- und kalibrierrelevante Daten werden über den Lebenszyklus hinweg an mehreren Stellen erfasst: Bereits beim Engineering der Messstelle, in der Produktion, während der Installation, im Betrieb und natürlich bei der eigentlichen Wartung der Geräte. Die historischen und aktuellen Daten wertet Endress+Hauser mit Hilfe von künstlicher Intelligenz über die Data Science Workbench aus, ergänzt auch um zusätzliche Geschäfts- und Gerätestammdaten. In der Workbench kommen dabei mehrere Komponenten der SAP Business Technology Platform zum Einsatz: SAP Data Intelligence für Daten-Orchestrierung und maschinelles Lernen, SAP HANA für den optimalen Datenzugriff und SAP Analytics Cloud für eine schnelle, verständliche Darstellung von Resultaten aus Algorithmen und Modellen und für jede Art von Ad-hoc-Analysen. Kollegen von SAP Services and Support halfen, die relevanten Anwendungsfälle im Bereich Big Data, Analytics und künstliche Intelligenz zu identifizieren und umzusetzen.

Was früher beim Betreiber starre Wartungspläne waren, wird mehr und mehr ein agiler Prozess: Wenn ein Gerät im Betrieb definierte Schwellwerte überschreitet, nimmt die Software sie in den Wartungsplan auf und stellt hierfür Ressourcen bereit: Zusätzlich stehen dem Mitarbeiter aus dem SAP Asset Intelligence Network die Gerätedaten, Wartungsanleitungen und weitere Informationen sofort zur Verfügung. Optimierte Wartungsintervalle sorgen darüber hinaus für deutlich mehr Effizienz und sind eine wesentliche Verbesserung bei der kontinuierlichen Prozessüberwachung von regulierten Produktionen, wie sie beispielsweise von der FDA (U.S. Food and Drug Administration) im medizinischen Bereich gefordert wird. Ein weiteres Highlight für die Prozessindustrie ist beispielsweise die automatische Erkennung und Installation neuer Feldgeräte.

Mit diesen Beispielen wird deutlich, dass sich Endress+Hauser sukzessive von einem reinen Anbieter von Instrumenten zum digitalen Dienstleister gewandelt hat und diesen Weg konsequent weiterverfolgt. Die Optimierung der Kalibrierintervalle ist also bei weitem nicht die einzige Wertschöpfung, die mit Hilfe der SAP-Lösungen entstanden ist.

IIoT-Plattform Netilion ermöglicht neue Services

Im Rahmen ihrer Industrie 4.0-Ausrichtung stellt Endress+Hauser mit dem digitalen Ökosystem Netilion cloudbasierte Services bereit, mit denen Anlagenbetreiber Prozesse optimieren und so ihre Effizienz steigern können. Hierzu gehört u. a. die Netilion Health Applikation, die den „Gesundheits-Status“ der installierten Geräte herstellerübergreifend visualisiert und im Falle von Fehlern direkt Hinweise zur Fehlerbehebung geben kann. Weiterhin umfasst das Angebot:

  • Netilion Analytics, das sämtliche Feldgeräte in einer Anlage erfasst und verwaltet,
  • Netilion Library, das Arbeitsdateien und Dokumente speichert und organisiert,
  • Netilion Value, das Prozesswerte überwacht.

Das Potenzial rund um die digitalen Services ist groß: „Aktuell wird nach wie vor nur ein minimaler Bruchteil der IoT-Daten genutzt, die 40 Millionen der von uns installierten Geräte liefern könnten“, führt Andreas Buchdunger aus.

Lösungen für die Prozessindustrie als Partner anbieten

Zusammen mit strategischen Kunden haben Endress+Hauser und SAP bereits viele Erfahrungen gesammelt. Ein offener Austausch hatte sich bereits etabliert. Aus dem gemeinsamen Weg entstand die eigentlich naheliegende Idee einer Partnerschaft: „Wir haben zahlreiche gemeinsame Kunden in der Prozessindustrie. Diese erhalten von Endress+Hauser Technologien und Instrumentierung für die Produktion und von SAP für die betriebswirtschaftlichen Prozesse und die IT. Wir bieten zusammen ganzheitliche Prozesse im Sinne einer Konvergenz zwischen „IT – Information Technology“ und „OT – Operational Technology“ und können so gemeinsam einen deutlich größeren Mehrwert bieten“, bringt Armin Pühringer, Industry Advisor bei SAP, die Idee auf den Punkt.

Experten für die Prozessautomation und die IT entwickeln Hand in Hand Lösungen. Das ist neu und bringt Kunden einen bedeutenden Mehrwert: Prozesse und deren Umsetzung, die bis ins Detail vorgedacht sind.

Gemeinsam mit Kunden entwickeln die beiden Partner Anwendungsfälle mit einem hohen Detailgrad, die wesentliche Verbesserungen in den Wertschöpfungsketten bringen. Der erste Kunde der Partnerschaft ist ein großes Chemieunternehmen. In die Arbeit für den Kunden floss das gesamte, gebündelte Know-how ein: „Das SAP Asset Management legt die Basis, auf der wir Prozesse optimieren. Der besondere Vorteil ist, dass in einer komplexen Umgebung zwei Unternehmen gemeinsam und zentral planen. Das reduziert den Koordinationsaufwand beim Kunden, der so seine Kernkompetenzen stärker einbringen kann“, sagt Armin Pühringer.

Auf dieser Basis wurde Endress+Hauser das erste Unternehmen der Prozessindustrie, das mit SAP auf einer neuen Ebene zusammenarbeitet. „Die SAP-Experten, gerade auch von SAP Services, arbeiteten gleichberechtigt mit uns und bringen wertvolles Know-how in die Partnerschaft ein“, sagt Andreas Buchdunger. „Das freut uns und, noch wichtiger, unsere gemeinsamen Kunden.“

Open Industry 4.0 Alliance: Mitstreiter willkommen

Die Zusammenarbeit für Endkunden ist ein Erfolg und eine Allianz mit weiteren Unternehmen könnte die Resultate für weitere Branchen nutzbar machen, dachten sich die Partner. Aus diesem Gedanken heraus entstand die Open Industry 4.0 Alliance. Aktuell hat sie 60 Mitglieder[1]. „Die Vielfalt der Anforderungen und Potenziale rund um Industrie 4.0 stellt viele Firmen vor die zentrale Frage: Wie gewährleistet man Integration und Sicherheit?“, stellt Armin Pühringer fest.

Überischt auf SAP-Partner in der Prozessindustrie
Die Partner der Open Industry 4.0 Alliance.

Viele Anbieter von Geräten oder Software wie Endress+Hauser bringen eigene Plattformen mit. „Die Allianz will hier über eine Blueprint Architektur eine gemeinsame Systemlandschaft schaffen, in der dann vordefinierte Prozesse implementiert werden können“, erläutert Armin Pühringer das Szenario. So können unterschiedlichste Produkte gut zusammenspielen und damit echte Industrie 4.0-Anwendungsszenarien entstehen, inklusive Umsetzung und Support. Dabei arbeiten Produktmanagement und Entwickler gemeinsam, was die Qualität der Lösungen absichert.

Endress+Hauser und SAP empfehlen möglichen Kunden der Allianz, schrittweise vorzugehen und erst die Bereiche mit dem größten Potenzial in Form von Pilotanwendungen zu verbessern. Dadurch sind Projekte gut handhabbar und man sammelt praktische Erfahrung. Aktuell laufen über die Open Industry 4.0 Alliance Pilotanwendungen mit Unternehmen aus den Branchen Lebensmittel, Chemie und Life Sciences. „Wir wollen mit der Allianz die digitale Transformation der Industrie gemeinsam voranbringen und heißen neue Partner herzlich willkommen“, sagt Dirk Miethe aus dem Center of Excellence für Plattform und Technologie bei SAP.


[1] Stand 9. Juli 2020