In jedem Unternehmen gibt es einen Krisenplan, der regelt, wie in einem Notfall vorzugehen ist. Einen solchen Plan hatte auch der Schweizer Einzelhandelskonzern Coop in der Schublade, als im Februar die Corona-Pandemie Europa erreichte.
„Der Plan griff zu kurz, da wir uns nicht in einem normalen Krisenmodus befanden“, berichtet Tim Sutor, Teamleiter des Bereichs In-Store Merchandise Processes and Store Replenishment bei Coop. „Etwas in dieser Größenordnung hatten wir noch nicht erlebt. Wir mussten unsere Prozesse sehr schnell anpassen, damit unsere Regale gefüllt und alle Supermärkte im Land geöffnet bleiben konnten.“
Der CEO von Coop stellte innerhalb kürzester Zeit mehrere Krisenteams zusammen, und Tim Sutor wurde gebeten, sich in einem der Teams um die Nachschubprozesse zu kümmern. Sein Team hatte absolute Entscheidungsfreiheit bei der Steuerung des Nachschubs für die Regale in den Supermärkten. Da Entscheidungen ohne Genehmigung durch das Management getroffen werden konnten, war Coop in der Lage, mit schnellen und konkreten Maßnahmen auf die Herausforderung zu reagieren.
Als Ende Februar die Infektionszahlen in Italien steil anstiegen, verzeichneten Supermärkte in Grenznähe ein Umsatzplus von 70 Prozent – verursacht durch Italiener, die sich mit Lebensmitteln und anderen Dingen des täglichen Bedarfs eindeckten. Schon kurz darauf zog auch die Nachfrage im Land selbst an, sodass eine präzise Bedarfsprognose und Verteilung immer wichtiger wurden.
Auffüllen der Regale
Die Prognose und Nachschubplanung sind komplexe Prozesse. Unter normalen Umständen gibt es nach der Aufgabe der täglichen Bestellung ein Zeitfenster von zwei bis drei Stunden, bevor der Logistikprozess beginnt. Doch mit Ausbruch der Pandemie hatten die Verteilzentren, die ohnehin schon am Rande ihrer Kapazitäten waren, mit einer deutlich höheren Nachfrage zu kämpfen.
„Es war so, als ob wir ohne Vorlaufzeit das doppelte Weihnachtsgeschäft bewältigen mussten“, erzählt Tim Sutor. „Um saisonale Nachfragespitzen abzudecken, stocken wir die Zahl der Mitarbeiter in der Regel um ein Drittel auf. Dafür haben wir dann aber mehrere Wochen Vorbereitungszeit.“
Um das Problem zu lösen, wurden Mitarbeiter aus den Non-Food-Geschäftsbereichen von Coop abgezogen, in denen die Läden während der Krise nicht öffnen durften.
„Die eigentliche Herausforderung bestand darin, große Ladungen auszuliefern, für die es in den Verteilzentren zu wenig Platz und Ladeflächen gab“, erklärt Tim Sutor. „Und unsere Lieferanten hatten zwar Bestände in unseren Lagern im Ausland vorrätig, doch konnten die Lkw-Fahrer während des Lockdowns die Grenzen nicht passieren.“
Insbesondere der tägliche Absatz von Lebensmitteln in Dosen war drei Mal so hoch wie vor der Pandemie. Coop ist für sein breites Produktsortiment bekannt, doch selbst Artikel, die sonst eher zu den Ladenhütern gehören, waren ausverkauft. Wie konnte das Team die rechtzeitige Auslieferung der 1.000 wichtigsten Artikel sicherstellen, die in jedem Supermarkt vorrätig sein müssen, um den Bedarf der Kunden zu decken?
Krisenteams übernehmen das Ruder
Zu diesem Zeitpunkt begannen die Entscheidungsbefugnisse der Krisenteams eine wichtige Rolle zu spielen. Als Erstes wurde entschieden, mehrere Tausend Produkte aus dem normalen, täglichen Lieferzyklus auszuklammern, damit die am dringendsten benötigen Waren bei der Logistik Vorrang vor Nischenartikeln haben. Dies war ein entscheidender Schritt zur Bewältigung der enormen Nachfrage und Sicherstellung der Warenverfügbarkeit in allen Filialen.
Im Normalfall liegt die endgültige Entscheidung bei den regionalen Planern, die ihre Vertriebsgebiete in und auswendig kennen. Die zweite Entscheidung stieß daher auf wenig Gegenliebe: Die abschließende Bedarfsprognose sollte in der Konzernzentrale erstellt werden, um die Verteilung besser steuern zu können. Das Krisenteam benötigte vollständige Kontrolle über die Daten, um die während der Pandemie auftretenden Abweichungen von typischen Absatzmustern zu analysieren und zu verstehen.
„Wir konnten es uns nicht mehr leisten, die Prognosen nach unserem Bauchgefühl anzupassen“, erklärt Tim Sutor, der früher als Datenspezialist gearbeitet hat. „Wir waren darauf angewiesen, dass das System schnelle Ergebnisse liefert. Die Daten entschieden darüber, wie und wohin die Waren verteilt werden sollten. So konnten wir alle Artikel für den täglichen Bedarf in allen Filialen vorrätig halten, selbst wenn es nicht die meistgekaufte Marke war.“
Dass Coop sich auf das System verließ, machte sich bezahlt. Die Kunden konnten das kaufen, was sie brauchten, und der Marktanteil des Unternehmens vergrößerte sich während der Corona-Krise deutlich. „Es hört sich vielleicht nicht nach einer großen Sache an, aber wir sprechen hier von einem riesigen Markt. Und es beweist, dass wir die richtigen Entscheidungen getroffen haben“, resümiert Tim Sutor.
Coop bringt Innovationen in der Logistik voran
Mit SAP Forecasting and Replenishment profitiert Coop von einer ganzen Reihe von Vorteilen: optimierte Logistikprozesse und mehr Transparenz in der Lieferkette, weniger Über- und Fehlbestände sowie weniger manuelle Arbeit dank Automatisierung.
Das Unternehmen setzt auch verschiedene andere Lösungen von SAP ein und ist Innovationspartner für Nachschubplanung und Prognosen im Einzelhandel, insbesondere für die neue Prognose-Engine von SAP: die Komponente „Unified Demand Forecast“ von SAP Customer Activity Repository. Coop hatte bereits vor der Pandemie begonnen, den Nachschub in bestimmten Kategorien mit dieser Komponente zu steuern. Aufgrund der besseren Prognosequalität und der schnelleren Reaktion des Systems auf kurzfristige Abweichungen beschloss das Unternehmen, Unified Demand Forecast fünf Monate früher als geplant für das gesamte Frischesortiment aus mehreren Tausend Produkten einzuführen.
Abfallvermeidung durch KI-gestützte Prognosen
Coop will sich durch die aktuelle Krise nicht von anderen Projekten ablenken lassen, mit denen es seine Entwicklung zum technologiegestützten intelligenten Unternehmen vorantreiben möchte. Ein langfristiges Ziel besteht darin, ein flexibleres und nachhaltiges Einkaufserlebnis zu schaffen und Abfall bei Frischprodukten komplett zu vermeiden.
Vor drei Jahren hatte Coop ein neues Projekt im Bereich Aktionsplanung in Angriff genommen. Die Supermarktkette führt für seine mehr als 60.000 Produkte regelmäßig Aktionen durch, weshalb es entscheidend darauf ankommt, die optimale Aktionsmenge für die beworbenen Lebensmittel in allen 1.000 Filialen in der Schweiz zu ermitteln.
Die Komponente „Unified Demand Forecast“ von SAP Customer Activity Repository ermittelt die genauen Aktionsmengen auf der Grundlage historischer Verkaufsdaten (nach Filiale und Produkt). Die Waren werden mithilfe eines selbstlernenden KI-Algorithmus (künstliche Intelligenz) verteilt, der die Prognose bei jedem neuen Verkauf verfeinert.
„Mit diesem Tool entsteht eine Win-win-Situation für alle“, berichtet Tim Sutor. „Wir können den Abfall deutlich verringern, indem wir Überbestände vermeiden und die gezielte Planung verbessern. Die Kunden profitieren von frischeren Produkten, und dank einer stärkeren Automatisierung müssen sich die Mitarbeiter weniger um Ausnahmen und Fehler kümmern. Dadurch haben sie mehr Zeit für die Kunden.“