Zwar haben Großunternehmen den größten CO2-Ausstoß, doch bieten sich gerade im Mittelstand riesige Chancen im Kampf gegen den Klimawandel.
Kleine und mittelständische Betriebe machen über 90 Prozent der weltweiten Unternehmen aus und erzeugen somit zusammen mehr Treibhausgasemissionen als große Konzerne – auch wenn es schwierig ist, diese genau zu beziffern. Die Herausforderung ist gewaltig, doch lohnt es sich, sie anzugehen. Allein in Europa werden 70 Prozent der industriellen Umweltverschmutzung durch kleine und mittelständische Unternehmen verursacht.
Die Zeiten ändern sich
Kleine und mittelständische Betriebe unterliegen traditionell weniger Umweltvorschriften und Umweltprüfungen als Großkonzerne. Doch die Zeiten ändern sich. Auch im Mittelstand wächst der Druck, etwas gegen den Klimawandel zu tun. Denn große Unternehmen erwarten, dass ihre Zulieferer die Anforderungen, die an sie selbst gestellt werden, ebenfalls einhalten.
Ein Beispiel dafür ist BMW. Im Juli 2020 kündigte die BMW Group konkrete CO2-Ziele für ihre Lieferkette aus über 10.000 Zulieferern an. Der Konzern will damit die Emissionen pro Fahrzeug um mindestens ein Drittel verringern. Bei der Beschaffung von Materialien, Komponenten, Produktionsanlagen und Werkzeugen ist die CO2-Bilanz eines Zulieferers ausschlaggebend für die Vertragsvergabe. „Unser Ziel ist es, die nachhaltigste Lieferkette in der gesamten Automobilindustrie sicherzustellen“, erläutert Oliver Zipse, Vorstandsvorsitzender der BMW AG. Auch BMW-Konkurrent Mercedes-Benz gab bekannt, dass über 75 Prozent seiner Zulieferer sich dazu verpflichtet haben, den Autohersteller nur noch mit CO2-neutralen Teilen zu beliefern. So soll bis 2039 das Ziel der Klimaneutralität erreicht werden.
Weitere Beispiele für große Unternehmen, die gemeinsam mit ihren Lieferpartnern den CO2-Ausstoß verringern, sind Tetra Pak und BASF. Knapp die Hälfte aller CEOs von Großunternehmen will laut dem 2019 UN Global Compact Progress Report die Nachhaltigkeit der Geschäftsabläufe verbessern.
Doch nicht nur die Lieferkettenverantwortlichen schreiben sich den Klimaschutz auf die Fahnen. Auch immer mehr Anleger, Aktionäre, Verbraucher und Mitarbeiter erwarten von Unternehmen ehrgeizige Klimaziele. Zugleich erhöhen Länder, Städte und Kommunen den Druck. Weltweit wurden bereits über 60 Initiativen zur CO2-Bepreisung umgesetzt oder sind aktuell geplant. Schon bald könnte nationale und internationale Vorschriften Hersteller dazu verpflichten, ihre Produkte und Produktbeschreibungen mit Angaben zu den Umweltauswirkungen zu versehen.
Viele offene Fragen
Matthias Weigold ist mit dem komplexen Umfeld, in dem kleine und mittelständische Unternehmen derzeit agieren, bestens vertraut. Der Leiter des Instituts für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW) an der Technischen Universität Darmstadt untersucht gemeinsam mit deutschen Herstellern Szenarien für Energieeffizienz und Energieflexibilität in Fertigungsprozessen abhängig von der Verfügbarkeit erneuerbarer Energiequellen.
„Viele Mittelständler bekommen von ihren wichtigsten Kunden zu hören: ,Tut etwas, um eure Emissionen zu verringern, und zwar möglichst schnell.‘ Auf viele ihrer Fragen gibt es aber keine befriedigende Antwort“, berichtet er. „Kleine und mittelständische Betriebe wissen außerdem, dass ihre wertvollsten Kunden möglicherweise zur Konkurrenz abwandern, wenn sie zu langsam reagieren oder ihre Maßnahmen zu wenig konkret sind.“
Um die Forderungen der Kunden nach einer emissionsarmen Produktion zu erfüllen, müssen kleine und mittelständische Unternehmen ihre Fertigungsprozesse darauf ausrichten, dass ihr Energiemix aus fossilen und erneuerbaren Energien Preisschwankungen unterliegt. Laut Matthias Weigold sind dies längst keine hypothetischen Szenarien mehr: „Die außergewöhnlich sonnigen und windigen Wetterperioden im Jahr 2020 haben dazu geführt, dass die Großhandelsstrompreise in Deutschland gesunken sind“, führt er aus.
Zusätzlich erschwert wird die Situation durch eine Vielzahl nationaler Richtlinien und Zeitpläne für Emissionsverringerungen weltweit, wie Matthias Weigold erläutert: „Über 80 Prozent der in Deutschland gefertigten Maschinenwerkzeuge gehen in den Export, der größte Anteil davon ist für chinesische Hersteller bestimmt. China hat im Dezember 2020 seine Emissionsziele angepasst, und deutsche Betriebe wissen nun nicht, wie sie darauf reagieren sollen.“
In der ETA-Modellfabrik in Darmstadt können verschiedene Produktionsszenarien unter Praxisbedingungen getestet werden. Die SAP und das PTW nutzen diese Möglichkeit, um ERP-Software für Fertigungsumgebungen zu modellieren. „Indem wir zwei Welten – Unternehmenssoftware und die betriebliche Ebene – miteinander verbinden, können wir die Effizienz und Flexibilität von Fertigungsprozesse beeinflussen“, erklärt Matthias Weigold. Es ist weltweit das erste Projekt dieser Art.
Klimaschutz als Wettbewerbsvorteil
Durch die Zusammenarbeit mit dem PTW will die SAP ihre neue Software optimieren, die es kleinen und mittelständischen Unternehmen in der gesamten Lieferkette ermöglicht, ihre CO2-Emissionen zu erfassen. Mit der Lösung SAP Business Ecology Management können Unternehmen ihren CO2-Ausstoß für jedes Produkt steuern, indem sie ihr vorhandenes ERP-System – etwa SAP Business One oder SAP Business ByDesign – mit einem Energieflussmodell für den jeweiligen Prozess verknüpfen. SAP-Partner weltweit sollen die Lösung an individuelle Kunden- und Branchenanforderungen anpassen.
Studien haben gezeigt, dass kleine und mittelständische Betriebe mit entsprechender Unterstützung und den nötigen Tools durchaus bereit sind, ihre Treibhausgasemissionen zu steuern. Über den neuen SME Climate Hub werden solche Ressourcen vermittelt. Mit einer stetig wachsenden Zahl von Mitgliedern könnte der Hub eine wichtige Rolle bei der Umsetzung ehrgeiziger Klimaschutzmaßnahmen von Unternehmen spielen.
Jochen Mayerle betont, dass sich das neue Produkt einfach bedienen lässt und ohne Unterstützung durch Nachhaltigkeitsexperten implementiert werden kann. Auch Niels Hermansen, Gründer des dänischen SAP-Partners BitPeople A/S, zieht eine positive Bilanz: „Es freut mich, dass die SAP in diesem Bereich die Initiative ergriffen hat. Die SAP weiß, dass kleine und mittelständische Unternehmen dieselben Anforderungen erfüllen müssen wie große Konzerne, jedoch nicht über dieselben Ressourcen verfügen“, führt er aus.
SAP Business Ecology Management wird derzeit von zahlreichen Kunden getestet und wird im dritten Quartal 2021 allgemein verfügbar sein.
Zu diesem Artikel haben Sandra Thiel, Agile Expert, und Chris Horak, Global Vice President für Solution Marketing, beigetragen.