Wer nachhaltiges Wirtschaften will, muss auch die Erfolgsrechnung von Unternehmen neu denken. Das Projekt QuartaVista zeigt, wie es geht.

Weltweit gehen Menschen für Umwelt- und Klimaschutz auf die Straße, Verbraucher treffen bewusstere Kaufentscheidungen und die Politik reagiert mit Maßnahmen, wie dem europäischen Green Deal, der Taxonomie-Verordnung oder dem Lieferkettengesetz.

Auch in der Finanzwelt hat sich der Wind gedreht. Ein prominentes Beispiel ist Larry Fink, CEO der Investmentgesellschaft Blackrock, der 2020 in seinem Brief an die Aktionäre schrieb: „Das Klimarisiko ist auch ein Anlagerisiko“.

Mit diesen Entwicklungen wächst auch der Handlungsdruck auf Unternehmen. Doch wer die Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit motivieren will, muss auch bereit sein, die Erfolgsrechnung der Unternehmen – ihre Bilanzen – neu zu denken. Genau hier knüpft QuartaVista an, ein von SAP geführtes Innovationsprojekt, das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert wurde.

„Im Kern geht es bei QuartaVista darum, Unternehmenserfolg nicht mehr rein finanziell zu messen, sondern weitere Aspekte – Ökologie, Wissen und Soziales – in der Bilanz abzubilden“, so fasst es Reiner Bildmayer, QuartaVista-Projektleiter bei SAP, zusammen.

Denn, „nachhaltiges Handeln wird auch für Unternehmen zunehmend zum Erfolgs- und Wirtschaftsfaktor“, erklärte Staatssekretär Björn Böhning vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales bei der Abschlusskonferenz des Projekts, das vom November 2018 bis Februar 2021 lief und kürzlich in Berlin seine Ergebnisse präsentierte.

QuartaVista – Vier Perspektiven

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QuartaVista – Vier Perspektiven

QuartaVista leistete Pionierarbeit

Gemeinsam entwickelten SAP und die Regionalwert AG, Freiburg die QuartaVista-Methodik. Das Neue an QuartaVista ist, dass Leistungen für nachhaltiges Wirtschaften, aber auch Risiken, in der Bilanz auf der Positiv- bzw. Negativseite abbildet werden können.

Voraussetzung dafür war zunächst, den Nachhaltigkeitsleistungen einen betriebswirtschaftlichen Wert beizumessen. „Im Projekt haben wir 180 Nachhaltigkeits-Kennzahlen entwickelt und die Basis für die Bilanzierung dieser Leistungen geschaffen“, erläuterte Christian Hiß, Gründer und Vorstand der Regionalwert AG, Freiburg.

Um es am Beispiel Wissenserhalt zu erklären: Bildet der Betrieb neue Mitarbeiter aus, entstehen ihm nach der QuartaVista-Methodik nicht nur Kosten. Stattdessen können die Unternehmen den Aufbau und Erhalt von Wissen anhand der entsprechenden Kennzahl auch auf der Habenseite verbuchen.
Die Projektpartner Bingenheimer Saatgut AG, BODAN Großhandel für Naturkost GmbH, Bohlsener Mühle GmbH & Co. KG und die Regionalwert AG, Freiburg erprobten die Methodik in der Praxis. Die Rolle der SAP war es, die Bilanzierung nach QuartaVista in einem softwareunterstützten Dashboard abzubilden. Darüber hinaus entwickelten die Parmenides Stiftung, eine gemeinnützige Forschungseinrichtung, und Cognostics AG, ein Experte für künstliche Intelligenz, eine zukunftsweisende Visualisierung der Kennzahlen.
„QuartaVista hat prototypisch gezeigt, wie man Nachhaltigkeitskennzahlen in die Buchhaltung und damit auch in die Unternehmenssteuerung integrieren kann“, so Annika Woltjen, QuartaVista-Projektleiterin bei BODAN Großhandel für Naturkost. „Wir haben das bis in die Details heruntergebrochen, und das zeichnet das Projekt letztlich aus“, so Bildmayer.
Eine ganzheitliche Unternehmenssteuerung beinhalte den Zusammenschluss von finanziellen und nicht-finanziellen Kennzahlen, betonte auch Dr. Martin Heinig, Leiter des Bereichs New Ventures and Technologies bei SAP. „Man muss die Daten sammeln, bewertbar und vergleichbar machen. Dafür hat QuartaVista einen großen Schritt in die richtige Richtung getan.“

Dashboard von QuartaVista und SAP sorgt für nachhaltige Bilanzierung.
Die  SAP hilft dabei die Bilanzierung nach QuartaVista in einem softwareunterstützten Dashboard abzubilden.

Wahre Preise für nachhaltiges Wirtschaften

Ein Beispiel, wie sich QuartaVista in der Praxis auswirken könnte, sind die Preise.

„Die Chance von QuartaVista ist, an wahre Preise heranzukommen“, betonte Philip Luthardt, Nachhaltigkeitsmanager bei Bohlsener Mühle. „Es ist eine Chance für biologisch produzierende Unternehmen zu zeigen, welchen Mehrwert wir gesamtgesellschaftlich schaffen.“

Isabelle Sanchez, kaufmännische Leiterin bei der Bingenheimer Saatgut hält Transparenz für eine wichtige Voraussetzung für die Akzeptanz von Preisen. „Wenn man erklärt, welche Werte wir produzieren und was in dem Produkt steckt, dann sind die Kunden damit einverstanden“, so Sanchez. Als Beispiel nennt sie ökologisch erzeugte, samenfeste Sorten, aus deren Saatgut immer wieder die gleiche Pflanze nachwächst. Dies erspare es dem Kunden, im Folgejahr neues Saatgut zu kaufen.

„Das Billig von heute ist das Teuer von morgen. Risiken und Schäden in die Bilanz bringen, ebenso wie Leistungen zugunsten von Nachhaltigkeit, bedeutet viel mehr, als dass Produkte teurer werden. Es bedeutet, die Marktwirtschaft anhand einer neuen Erfolgsrechnung neu auszurichten“, betonte Dr. Jenny Lay-Kumar, QuartaVista-Projektleiterin bei der Regionalwert AG, Freiburg.
Eine neue Art der Rechnungslegung muss also nicht unbedingt bedeuten, dass ökologisch produzierte Produkte teurer werden. „Nachhaltiges Wirtschaften ist eine Investition, die ins Vermögen aktiviert wird. Ich kann völlig andere Preise machen, wenn Quarta Vista umgesetzt wird“, erklärte Hiß.

Experimentierraum und Denkwerkstatt – nicht nur für das Finanzwesen

Für die Projektpartner markierte die Abschlussveranstaltung kein Ende, sondern vielmehr einen Anfang. Sie wollen ihren Ansatz in Zusammenarbeit mit Unternehmen, Universitäten und der Politik weiter vorantreiben.

Es gibt noch viel zu tun – das Projekt verstand sich als Experimentierraum und Denkwerkstatt. „Wir haben ein Werkzeug, mit dem wir Denken üben können. Wir können etwas tun und schauen, was unser Handeln bewirkt. Das ist der Beginn einer größeren Veränderung, nicht nur im Finanzwesen“, erklärte Professor Dr. Karin Gräslund, Wiesbaden Business School und DSAG auf der Abschlusskonferenz.

„Wir haben mit QuartaVista ein Füllhorn aufgemacht. Wir sind fest entschlossen, weiter zu machen“, bekräftigte Bildmayer.


QuartaVista und die „Initiative Neue Qualität der Arbeit“

„QuartaVista – Navigationssystem für werteorientierte Unternehmen“ ist eines von 17 von der Initiative Neue Qualität der Arbeit initiierten Projekten mit interdisziplinären Experimentierräumen, die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert werden. Laufzeit: November 2018 – Februar 2021.