Der Hype um Blockchain war bereits abgeklungen, doch derzeit erlebt die Technologie einen zweiten Frühling. Was macht Blockchain zu einem Megatrend, und was können wir in naher Zukunft von dieser Technologie erwarten?
Blockchain-Technologie war ursprünglich als die Infrastruktur für digitale Kryptowährungen konzipiert worden, etwa Bitcoin, deren steigende Preise den riesigen Hype um Blockchain ausgelöst hatten. In jüngerer Zeit wurde die Technologie auch für eindeutige „Non-Fungible Tokens“ (NFTs) verwendet, die das Eigentum an jedem digitalen Objekt, zum Beispiel einem Kunstgegenstand oder Musikstück, repräsentieren können.
Bei der Validierung von rechtlichen oder geschäftlichen Transaktionen zwischen unabhängigen Individuen oder Organisationen verlassen sich Menschen seit jeher auf vertrauenswürdige Dritte, wie Banken, Regierungsbehörden oder Clearingstellen. Doch mit der Blockchain als dezentral geführtes, sicheres Journal verändert sich die Art und Weise, wie Menschen zusammenarbeiten, grundlegend.
Blockchain ermöglicht den Teilnehmern den Aufbau eines Peer-to-Peer-Netzwerks von unabhängigen Organisationen und Personen. Jeder dieser Teilnehmer kann Transaktionen verifizieren und eine Kopie des Transaktionssatzes besitzen, ohne dass eine zentrale Kontrollinstanz benötigt wird. Kryptografiefunktionen stellen sicher, dass die Informationen auf unveränderliche und authentifizierte Weise zwischen allen Mitgliedern des Netzwerks ausgetauscht werden.
Als Basistechnologie für rechtliche Vorgänge und Geschäftsprozesse hat Blockchain das Potenzial, Vermittler überflüssig zu machen – und die Art und Weise, wie wir untereinander Geschäfte abwickeln, zu revolutionieren. Jede Branche, die auf komplexen unternehmensübergreifenden Prozessen beruht, könnte von Blockchain profitieren – wie auch der öffentliche Sektor und staatliche Einrichtungen, sogar auf internationaler Ebene.
Benjamin Stöckhert, Business Developer für Blockchain bei der SAP, erklärt: „Die Optimierung von Prozessen im öffentlichen Sektor durch Blockchain kann dazu beitragen, Betrug und Korruption einzudämmen oder zu verhindern, zum Beispiel durch Bereitstellung eines manipulationssicheren Grundbuchs in Ländern, in denen Korruption verbreitet ist.“ Das öffentliche Beschaffungswesen ist ein weiteres Anwendungsfeld für Blockchain, ebenso wie die Nachverfolgung von Spenden und öffentlichen Mitteln.
Für Unternehmen lag der Fokus während der letzten Jahrzehnte auf der Optimierung von internen Geschäftsprozessen durch Automatisierung und die Beseitigung von papiergebundenen Vorgängen. Blockchain ist ein sehr leistungsfähiges Werkzeug, um diese Prozessoptimierung auf unternehmensübergreifende Vorgänge und offene Kunden- und Partnernetze auszuweiten.
SAP und Blockchain
Seit ihrem Aufkommen 2009 hat die Blockchain-Technologie den gesamten Hype-Zyklus von Gartner für neue Technologien durchlaufen. Die SAP gehört zu den ersten Unternehmen, die das Potenzial der Blockchain für die Entwicklung von konkreten Produkten und Lösungen ausschöpften.
„Die Erwartungen waren extrem hoch“, erinnert sich Benjamin. „Die Zugkraft dieser Vision – eine zentrale Datenquelle für eine Vielzahl von gleichberechtigten Partnern in einem Netzwerk – war so stark, dass viele auf den Blockchain-Zug aufsprangen, ohne die dahinter stehende Technologie ganz verstanden zu haben.“
Seitdem haben sich viele Annahmen über Blockchain relativiert. Um 2018 setzte im so genannten „Blockchain-Winter“ eine allgemeine Ernüchterung über die Technologie ein.
„Beschleunigt durch die Reifung von Blockchain-Technologien sowie die Entwicklung entsprechender Standards und Geschäftsumfelder zeichnet sich allerdings derzeit eine zweite Welle des Interesses und der Anwendung im Kryptowährungs- und Unternehmensbereich ab“, meint Benjamin.
„Die Transparenz der Lieferkette ist die typische Anwendung für die meisten vorhandenen SAP-Lösungen. SAP Logistics Business Network, Option für Materialrückverfolgung, eine auf Blockchain basierende Anwendung im SAP Logistics Business Network, bildet die Herkunft von Waren in der Lieferkette lückenlos ab. Sie ermöglicht es Kunden in der Lebensmittel-, Pharma-, Chemieindustrie oder ähnlichen Branchen, die Genealogie ihrer Produkte entlang der gesamten Lieferkette zu untersuchen.
„Verbraucher möchten zum Beispiel sichergehen, dass ihr Thunfisch aus nachhaltiger Produktion nach Fair-Trade-Standards stammt“, erläutert Benjamin. „Doch tatsächlich ist Etikettenschwindel auf dem Seafood-Markt ein großes Problem.“ Die SAP arbeitet mit Bumble Bee Foods, dem größten Händler von Meeresfrüchten in den USA, an der Entwicklung eines Prüfungsnachweises zusammen, der sich per QE-Code aufrufen lässt.
Das SAP.iO-Venture GreenToken by SAP – einer der Finalisten für den Hasso Plattner Founders’ Award 2021 – ist ein innovatives Produkt zur Verbesserung der Rückverfolgbarkeit von Rohmaterialien über die gesamte Lieferkette hinweg über eine auf Blockchain-Technologie gestützte Cloud-Plattform. GreenToken führt derzeit mehrere Pilotprojekte mit Unternehmen in der Chemie- und Palmölindustrie aus. Eines davon ist Eastman Chemical, ein US-Hersteller von Spezialchemikalien. Hier wird GreenToken eingesetzt, um nachprüfbar zu belegen, dass die Produkte von Eastman mit recyceltem Plastik hergestellt wurden. Damit fördert es den Aufbau einer Kreislaufwirtschaft und erleichtert die Einhaltung der Auflagen des Zertifizierungssystems ISCC Plus (International Sustainability & Carbon Certification). Ein weiteres Pilotprojekt betreibt GreenToken in der Lieferkette für Palmöl in Indonesien, wo Rohstoff aus Ölpalmenplantagen, die ohne Entwaldung angelegt wurden, von der Ölmühle bis zu einem der größten Konsumgüterunternehmen verfolgt wird.
Ausblick: Fünf Bereiche mit Reifungspotenzial für die Blockchain-Technologie
Bei einer komplexen Technologie wie Blockchain ist die Zugänglichkeit ein ständiges Thema. Eine Möglichkeit, die Einstiegshürde zu senken, könnte die Integration von Blockchain in No-Code-Tools für Geschäftsprozesssteuerung sein. Werden diese Tools mit Blockchain-Technologie erweitert, dann können Endbenutzer, die sich als Entwickler betätigen (so genannte Citizen Developers), sichere, unternehmensübergreifende Prozesse einrichten, ausführen und überwachen und gleichzeitig die Einbeziehung der IT-Abteilung auf das Notwendigste beschränken.
Zudem würde die Integration von Blockchain-Technologie in Business Process Intelligence es Benutzern ermöglichen, die Daten aus ihren unternehmensübergreifenden Prozessen in Erkenntnisse und letztlich in Maßnahmen umzuwandeln, die die digitale Automatisierung vorantreiben. „Diesen Bereich erkunden wir derzeit in unserem SAP Innovation Center Network“, sagt Benjamin. In Bezug auf die Sicherheit wirft die Einführung dieser neuen geschäftlichen Funktionen mehrere Herausforderungen auf, die den Schutz der Daten aus unternehmensübergreifenden Prozessen wie auch der daraus gewonnenen Erkenntnisse betreffen. In Zusammenarbeit mit SAP Security Research erkundet das Blockchain-Team des SAP Innovation Center Network Technologien zur Verbesserung des Datenschutzes, die dem Schutz (bzw. der Verschlüsselung) von geteilten Daten in einem dezentralen Ledger dienen und gleichzeitig die Auswertung von Erkenntnissen unterstützen.
Während der heutige Produktiveinsatz von Blockchains in Unternehmens auf geschlossenen Consortium Blockchains basiert, untersucht das SAP Innovation Center Network, wie sich die einzigartigen Vorzüge von öffentlichen Blockchains auf Anwendungsfälle in Unternehmen übertragen lassen, z. B. für integrierte Finanzfunktionen auf Basis von Blockchain-Technologie.
Ein weiterer großer Schritt vorwärts wird die Ergänzung durch Self-Sovereign IDs sein. „Blockchain hat immer noch den Ruf, eine Art digitaler Wilder Westen zu sein, der kaum zu kontrollieren ist“, stellt Benjamin fest. Die Möglichkeit, die Identität von Personen oder Organisationen zweifelsfrei zu ermitteln, wird das Vertrauen zwischen den Teilnehmern auf eine neue Stufe heben, sogar in öffentlichen Blockchain-Netzwerken.
„Ein weiteres Thema, das sich noch im Anfangsstadium befindet, aber äußerst relevant ist, ist das Metaverse. Es besteht aus Online-Räumen und virtuellen Welten, die es Menschen mithilfe von Technologien wie Computergrafik sowie erweiterter und virtueller Realität ermöglichen, noch lebensechter als je zuvor im Internet zu interagieren,“ fügt Benjamin hinzu. „Geplant ist die Entstehung einer dezentralen, mehrere Plattformen umfassenden digitalen Wirtschaft, die auf dem Metaverse basiert. Die Blockchain entwickelt sich zur Vertrauensschicht, die die Darstellung und Übertragung des Eigentums an Werten im Metaverse ermöglicht.“
Der Megatrend Blockchain hält an: Experten erwarten, dass sich die weltweiten Gesamtausgaben für Blockchain-Lösungen 2021 auf 6,6 Milliarden US-Dollar belaufen werden. IDC prognostiziert bis 2024 einen Anstieg um 50 % auf fast 19 Milliarden Dollar bei den globalen Investitionen in Blockchain.
Fragen an die Experten
Könnte die Blockchain-Technologie das Internet ablösen?
Blockchain könnte zwar zentrale internetbasierte Geschäftsmodelle ablösen, doch wird sie mit weitaus größerer Wahrscheinlichkeit eine zusätzliche Schicht des Internets bilden, als dieses tatsächlich zu ersetzen. Das wesentliche Element des Internets ist seit jeher der Austausch von Informationen, und Blockchain erweitert diese Informationen um eine Verifizierungsschicht, die Vertrauen schafft, ohne dass ein Vermittler benötigt wird. Somit ergänzen sich die Blockchain und das Internet gegenseitig, wobei die Blockchain das Internet als Werkzeug nutzt.
Bedroht die Blockchain den Finanzdienstleistungssektor, wie wir ihn kennen?
Einerseits kann die Blockchain Banken und Finanzdienstleistern neue Geschäftschancen bescheren. Beispielsweise erweitert MasterCard seine Kreditkarten derzeit mit einer Reihe von Funktionen für Kryptowährungen. Andererseits ist dezentrale Finanzwirtschaft auf dem Vormarsch – damit werden Finanzdienstleistungen bezeichnet, die über ein dezentrales Ledger und somit ohne ein zentrales Steuerungsorgan wie etwa eine Bank angeboten werden. Dieser Sektor steht ganz am Anfang und ist noch unreguliert, könnte sich aber zu einer großen Bedrohung für das traditionelle Bankwesen entwickeln. Und Banken und Finanzdienstleister sind gut beraten, diesen Trend ernst zu nehmen.
Werden Quantencomputer die Kryptografie in der Blockchain unsicher machen?
Blockchain-Technologie stützt sich auf moderne Kryptografiemodelle, die durch Quantencomputer gefährdet werden. Wenn in der Blockchain keine neuen Modelle eingeführt werden, so genannte Post-Quanten-Kryptografie oder quantensichere Kryptografie, ist sie Angriffen ausgeliefert, beispielsweise, wenn ein Angreifer sich als eine andere Person ausgibt und auf diese Weise nicht autorisierte Transaktionen ausführen kann. Im Vorgriff auf die Risiken durch Quantencomputer hat das Blockchain-Team beim SAP Innovation Center Network bereits mit der Entwicklung von Prototypen einer quantensicheren Blockchain mit neuen Kryptografiemodellen begonnen. Interessant ist im Übrigen, dass die Auswirkungen von Quantencomputern den Erwartungen nach nicht nur die Blockchain-Technologie, sondern auch die Sicherheit der gesamten IT-Welt betreffen werden – zum Beispiel jegliche Passwörter, WLAN-Verbindungen und Online-Banking-Anwendungen, für die Kryptografie-Algorithmen verwendet werden.