Beim Ocean Plastics Leadership Summit (OPLS) im Nordatlantik trafen sich Experten zu einer experimentellen Forschungsexpedition, um das Ausmaß des Plastikmülls in den Meeren besser zu verstehen – und branchenübergreifende Lösungen und Partnerschaften zu entwickeln, um diese globale Herausforderung in den nächsten zehn Jahren zu lösen.
Die von SoulBuffalo organisierte Veranstaltung wollte die entsprechenden Entscheidungsträger direkt dorthin bringen, wo sie die Folgen des Plastikmülls hautnah sehen und erleben konnten.
Plastik in den Weltmeeren ist kein Problem, dass sich nicht lösen lässt. Wir wissen, wie man Müll sammelt und wie man ihn recycelt. Laut dem Ressourcenökonom Ted Siegler, der 25 Jahre mit Entwicklungsländern im Bereich Abfallentsorgung gearbeitet hat, besteht das Problem darin, die erforderlichen Institutionen und Systeme aufzubauen, bevor die Weltmeere unwiederbringlich zu einer dünnen „Plastiksuppe“ ohne jegliches Leben verkommen.
Kein einziger Fisch zu sehen
Die Gruppe des OPLS bestand aus Vertretern von Fertigungsbetrieben, Markenherstellern, Recyclingunternehmen und Müllsammlern. Sie waren Finanzexperten, Wissenschaftler, Journalisten von Zeitschriften wie National Geographic, Forscher sowie Vordenker und Innovatoren. Vertreten waren leitende Führungskräfte von Unternehmen wie Coca-Cola, Nestlé, P&G und Dow Chemicals ebenso wie Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie Greenpeace, WWF und Ocean Conservancy.
Immer, wenn das Schiff zu einer Ansammlung von Braunalgen kam, unterbrachen die Teilnehmer ihre Meetings und Präsentationen und begaben sich mit ihrer Schnorchelausrüstung in Schlauchboote. Den ganzen Tag sahen sie keinen einzigen Fisch – und zunächst auch nicht viel Plastik. Aber das täuscht, denn Plastik ist an der Wasseroberfläche nicht sichtbar. Plastik zerfällt in den Meeren in kleine Partikel, die sich in Algen verfangen und von Meeresbewohnern aufgenommen werden. „Das echte Problem besteht darin, was man nicht sieht“, sagt Michael Groves, CEO des Datenanalyseunternehmens für Abfallmanagement Topolytics, das auch bei der Expedition vertreten war. Auf einer Länge von einem Kilometer hat das Boat 76 Mikroplastikteile direkt unter der Oberfläche aufgenommen, erklärt Groves.
Multipliziert man diese Menge Mikroplastik bis auf eine Tiefe von 2,5 Kilometer, wird das wahre Ausmaß des Problems deutlich.
Die Verantwortung für das Plastikproblem annehmen
„Jeder trägt heute Verantwortung, gegen das Plastikproblem in unseren Meeren vorzugehen – auch die Unternehmen, die heute Plastik produzieren und große Mengen davon verwenden“, sagt Virginie Helias, Chief Sustainability Officer bei Procter & Gamble.
John Hocevar, Ccean Campaign Director bei Greenpeace, sieht das genauso. „Die Menschen in diesem Boot vertreten Unternehmen, die für einen sehr großen Teil des Plastikabdrucks auf dieser Erde verantwortlich sind. Wir haben also die Leute hier versammelt, die das Problem der Umweltverschmutzung durch Plastik wirklich lösen können“, sagt er. „Es gibt bereits einige Unternehmen, die Maßnahmen zur Beseitigung von Umweltverschmutzung wie etwa Recycling und Aufklärung von Verbrauchern durchführen. Wir brauchen aber mehr Menschen, Unternehmen und Behörden, die Verantwortung für die Produktionsseite übernehmen.“
Hocevar ist der Ansicht, dass wir die Umweltverschmutzung durch Plastik erst dann stoppen können, wenn wir erst gar nicht mehr so viel davon herstellen. Die meisten Unternehmen sind sich jedoch noch nicht einmal darüber bewusst, wie viel Plastik sie eigentlich produzieren. Unternehmen müssen also damit beginnen, ihren Plastikabdruck zu ermitteln, und sich dann Ziele setzen, um diesen zu reduzieren.
Es gibt aber auch gute Nachrichten. Verschiedene Unternehmen, die zum Kreis der Sustainable Brands gehören wie etwa Procter & Gamble, verstärken ihre Maßnahmen im Bereich Kreislaufwirtschaft: Sie wollen weniger Plastik und andere Stoffen herstellen und mehr davon wiederverwenden und recyceln. Und viele weitere Firmen unternehmen ähnliche Schritte. Adidas etwa produziert jetzt Schuhe aus Meeresplastik. Sie wurden von John Warner, einem Begründer der grünen Chemie, erfunden, der auch bei der Expedition dabei war. Dow Chemicals, einer der Sponsoren der OPLS-Expedition, hat vor Kurzem angekündigt, sich maßgeblich in einer globalen Allianz engagieren zu wollen, die eine Milliarde US-Dollar in den Kampf gegen Plastikmüll investieren will.
Nach Ansicht von Jim Sullivan, Leiter des Bereichs Global Sustainability Innovation Accelerator bei SAP und einer der Organisatoren der Expedition, braucht man für die Lösung einer weltweiten Krise wie dieser einen offenen, manchmal auch unbequemen Dialog mit einem breiten Kreis an unterschiedlichen Beteiligten. Außerdem benötigen wir ein branchenübergreifendes Konzept, das Konflikte mit anderen globalen Herausforderungen wie etwa dem Klimawandel ermitteln könne, um unbeabsichtigte Folgen zu vermeiden. Und wir brauchen laut Sullivan gemeinsame Messgrößen, um Aktivitäten mit dem größtmöglichen Effekt priorisieren und die Fortschritte auf dem Weg zu Zielen wie „null Plastikmüll in der Umwelt bis 2030“ messen zu können.
Bewahren statt verbrauchen
Das Problem lässt sich jedoch mit nur einer Lösung oder von nur einem Unternehmen nicht beheben. Partnerschaften und skalierte Lösungen wie der Ocean Plastics Leadership Summit sind wichtige Elemente der Zukunft, die es zu gestalten gilt. In einem ersten Schritt lohnt es sich vielleicht, auf „den ursprünglichen Interessenkonflikt zwischen indigenen Völkern und der industriellen Bevölkerung zurückzukommen, nämlich auf die Verantwortung für die Element Erde, Wasser, Feuer und Luft.“ Laut Patricia Anne Davis, Wisdom Keeper der Navajo-Indianer, besteht dieser Eigentumskonflikt auch heute noch.
Indigene Völker sind seit Anbeginn der Menschheit für diese Elemente verantwortlich gewesen, während die industrielle Bevölkerung den Planeten in nur ein bis zwei Jahrhunderten zerstört haben. Diese Trennung ist nicht mehr nachhaltig und muss im Interesse aller Menschen auf dem heutigen Planeten gestoppt werden.
„Wir müssen von Verbrauchen auf Bewahren umschalten“, sagt Damien Johnson, der bei dem Summit das SAP Office of Innovation für Nordamerika vertrat. Nach Auffassung von Johnson ist die Lösung zweigleisig: Erstens müssen wir die Entstehung von neuem Plastikmüll stoppen und zweitens die Recyclingverfahren für bereits bestehenden Müll verbessern.
„Die Verwendung von Plastik wurde durch Innovationen und dem Wunsch, das Kundenerlebnis zu verbessern, vorangetrieben. Jetzt müssen wir Technologie und Innovationen dafür einsetzen, dieses Kundenerlebnis zu bewahren, aber Einwegplastik abschaffen“, erklärt er.
Mehrwert schaffen – auch bei Plastik
Eines der Probleme des Plastikmülls besteht darin, dass er keinen Marktwert hat – noch nicht. Bisher haben Menschen in vielen Ländern wie Brasilien und Indien Metalle, Lumpen und Papier von den Straßen gesammelt, um sie für Recycling weiterzuverkaufen. Aber viele Kunststoffe wurden ignoriert, da sie keinen Wiederverkaufswert hatten. „Das Verrückte ist, dass Unternehmen, die recyceltes Plastik verwenden möchten, Probleme haben, dieses auf dem Markt zu finden“, sagt Padmini Ranganathan, Global Vice President of Products and Innovation bei SAP.
Deshalb nehmen Ranganathan und ihr Team Organisationen wie Plastics for Change in das Ariba Network auf, um die informelle Müllsammelwirtschaft in formalisiertere Angebots- und Nachfragesysteme für Sekundärstoffe zu integrieren.
„Wir müssen Plastikmüll in die Logistikkettensysteme integrieren, damit er nicht im illegalen Sektor versickert. Denn die Müllsammler arbeiten hart daran, Abfälle zu trennen und wieder nutzbar zu machen“, warnt Ranganathan. Für die langfristige Lösung ist eine Systemänderung erforderlich – sowohl im Materialflusssystem als auch in den digitalen Systemen, erklärt sie. „Da sich die Logistikkette für Plastik wandelt, müssen wir digitale Systeme einsetzen, die agil sind und sich an Veränderungen anpassen lassen.“
Tools und Strategien in Produktion und Logistik von Plastik
Nach Ansicht von Stephen Jamieson, Leiter des Bereichs Sustainable Business Innovation der SAP für die Region EMEA-Nord, können Tools wie die SAP Plastic Cloud zur Lösung des Einwegplastik-Problems in verschiedener Hinsicht beitragen.
Erstens, kann sie einen neuen Marktplatz für recyceltes Plastik schaffen und große Marken und Abfallsammler ethisch und konsistent über das Ariba Network verbinden.
Zweitens, kann sie die Entwicklung von Best Practices für eine verantwortungsvolle Produktion und deren Verbreitung von Nordeuropa in alle Teile der Welt vorantreiben. Drittens, kann sie Startups und Investoren zusammenbringen und ihnen helfen, die Marktchancen zu verstehen und in die Märkte zu gehen, die eine entsprechende Infrastruktur am meisten brauchen. Und nicht zuletzt kann sie die Präferenzen der Verbraucher in Richtung nachhaltige Produkte lenken und die Nachfrage nach recycelten Inhaltsstoffen in Produkten fördern.
Die Verschmutzung der Meere mit Plastik ist zwar ein riesiges Problem. Wenn Regierungen, Nichtregierungsorganisationen, Verbraucher und Unternehmen sich zusammentun, lässt es sich aber nach Auffassung dieser Experten innerhalb von zehn Jahren lösen. Denn ein Großteil des Plastiks gelangt über fünf Flüsse in Asien ins Meer. Wenn man also das Plastik in Flüssen in den nächsten sieben Jahren um nur 20 Prozent reduziert, würde der Plastikanteil im Meer auf das Niveau der 1990er Jahre zurückgehen.
Die entsprechende Technologie hierfür gibt es bereits. Unternehmen, die zum Kreis der Sustainable Brands gehören, spielen ein große Rolle bei der Lösung. Sie stellen ihr Geschäft auf Kreislaufmodelle um, sodass Verbraucher und Fertigungsunternehmen Plastik vermeiden, reduzieren, wiederverwenden, für andere Zwecke einsetzen und recyceln können. Wenn man Unternehmen, Regierungen, NGOs und Gruppen, die sich für den Schutz der Meere einsetzen, zusammenbringt, ist es möglich, eine ganzheitliche Lösung für eine nachhaltige Zukunft zu schaffen.