Der Drug Supply Chain Security Act (DSCSA) in den USA sieht vor, dass ab November 2019 Retouren von Arzneimitteln verifizierbar sind. Mehr als zwei Drittel des US-Marktes setzt dafür auf eine Blockchain-Lösung, die SAP Innovation Business Solutions (SAP IBSO), die Life-Science-Einheit von SAP und das Innovation Center Network entwickelt haben.

Seit Februar diesen Jahres haben die Apotheker in Deutschland und Europa einen Scanner in Griffweite. Jedes verschreibungspflichtige Medikament enthält eine „Serialnummer“ neben den individuellen Produktionsdaten, dem Verfallsdatum und der Chargennummer. Diese Daten werden über einen zentralen europäischen Hub in die nationalen Datenbanken geschrieben, wofür unter anderem SAP eine entsprechende Lösung entwickelt hat. Damit werden pharmazeutische Produkte verifizierbar. Über eine spezielle Scansoftware können Apotheker überprüfen, ob das Medikament auch wirklich von den gelisteten Herstellern stammt und es sich nicht um eine Fälschung handelt. Die Fälschungsrichtlinie 2011/62/EU schreibt das allen europäischen Staaten so vor. Die Türkei setzt schon seit sieben Jahren auf eine zentrale Datenbank, wie im übrigen auch China, Indien und Russland.

Retouren: Jedes 50te Medikament geht zurück zum Hersteller

Nicht so die USA: Denn als der damalige US-Präsident Barak Obama im Jahr 2013 den Drug Supply Chain Security Act (DSCSA) verabschiedete, waren zwar die einzelnen Schritte im 10-Jahres-Plan klar definiert, der die Lieferkette in der Pharmaindustrie transparenter machen sollte. Doch machte er der Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehöre der USA, die Food and Drug Administration (FDA), keinerlei technologische Vorgaben. Klar war nur: In 2015 sollte ein „Chargentracking“ möglich sein, ab 2017 die Bedruckung sämtlicher Medikamente mit einer Serialnummer sichergestellt sein und nun – ab November 2019 – die Verifizierung aller „Retouren“, also von Medikamenten, die aus unterschiedlichen Gründen wieder zum Großhändler zurückgeschickt wurden. Etwa, weil versehentlich zu viele oder die falschen Medikamente versendet wurden. „Das macht etwa zwei Prozent des Gesamtmarktes aus“, erläutert Oliver Nürnberg, Product Owner Life Science bei SAP.  Es betrifft also Pharmaprodukte im Wert von etwa sieben bis acht Milliarden US-Dollar (sechs bis sieben Milliarden Euro).

Verifikation über die Blockchain: 4 Vorteile

Über 40 Prozent des Pharmaweltmarktes decken die USA ab. „Hier kam bei einigen Pharmaherstellern die Sorge auf, ob in Anbetracht der gigantischen Datenmengen eine zentrale Datenbank der richtige Weg sei“, sagt SAP-Experte Nürnberg, für den deswegen nur eine dezentrale Lösung in Frage kam. Und doch muss jeder Händler, der Retouren entgegen nimmt, sicher sein, dass das Medikament nicht gefälscht ist. „Wie geschaffen für den Blockchain-Ansatz“, befindet Nürnberg, der sich nur dann für eine Technologie entscheidet, wenn sie dem geschäftlichen Zweck optimal dient. Für den Prozess der Verifikation von Medikamenten eignet sich die Blockchain aus vier Gründen:

  1. Datenschutz: Keinerlei persönliche Daten (etwa von Patienten) werden verwendet, sondern lediglich Informationen über Produkte.
  2. Aufwand: Die Infrastruktur ließ sich kurzfristig innerhalb von einem halben Jahr aufbauen.
  3. Sicherheit: Einmal in die Blockchain geschriebene Inhalte lassen sich nicht mehr verändern oder löschen, sondern lediglich ergänzen.
  4. Verteilung: Daten lassen sich über die Blockchain leicht verteilen.

Mehr als zwei Drittel des US-Marktes setzt auf die Blockchain-Lösung von SAP

Das Prinzip ist einfach: Jede Packung wird mit einem Scanner verifiziert. Aus dem Data Matrix Code mit Produktionsdaten, Chargennummer, Mindesthaltbarkeitsdatum und Serialnummer erstellt ein Algorithmus einen Hash, eine 64-stellige Zeichenkette aus Zahlen und Buchstaben, die nicht verändert werden kann. Ein neues Kettenglied kann hinzugefügt werden, sofern die Ursprungsinformation nicht verändert wird, beispielsweise wenn ein Großhändler per Scanner Medikamente verifiziert und zurücknimmt. Damit ist immer nachvollziehbar, welche Stationen das Medikament zurückgelegt hat und ob die Retoure wieder zurück in den Verkauf gehen darf. Neun der 20 größten Pharmafirmen und zwei der wichtigsten drei Großhändler in den USA haben sich inzwischen für die Blockchain-Lösung von SAP entschieden. Das macht nach Aussage von SAP-Manager Nürnberg mehr als zwei Drittel (72 Prozent) des US-amerikanischen Marktes aus, der sich erhofft, dass bis zum November noch einige Unternehmen hinzukommen.

Die Blockchain für die Verifikation von Retouren: Eine SAP-Koproduktion

Die Blockchain-Lösung für den Pharmamarkt ist eine Koproduktion zwischen der Industrie-Einheit (mit dem Team von Oliver Nürnberg), der Beratung (SAP Innovative Business Solutions, SAP IBSO) und dem SAP Innovation Center Network. Ausgehend von Nürnbergs Grundkonzept für die Verifikation von Retouren „war es die Aufgabe innerhalb eines ersten Proof of Concepts (POC) zusammen mit SAP IBSO, anhand von drei Kunden zu überprüfen, ob dieser Blockchain-Ansatz die richtige Lösung mit dem geeigneten Technologie-Stack ist“, erläutert Ross Doherty, Entwickler und Team Manager bei SAP IBSO. Der erste POC brachte also zunächst die Bestätigungen, dass der „technology stack“ in der Lage sein würde, die Prozesse zuverlässig abzubilden, ein weiterer (zweiter und umfassenderer POC) dann, dass die Lösung beliebig skalierbar ist – eine Voraussetzung für den Milliarden-starken Pharmamarkt. „Wir schauen uns ganz genau an, was der Kunde wirklich braucht, ob die Lösung effizient ist und in das spezifische industrielle Umfeld passt“, erläutert Innovation Manager Jochen Schneider das übliche Vorgehen bei SAP IBSO. Erst nach einem POC ist klar, ob es sich um ein „Big Thing“ oder eine „Cutting-Edge-Technologie“ handelt, die derart erfolgversprechend ist, dass sie ein Kandidat für das Standard-Portfolio von SAP wird – wie die Blockchain-Lösung, die inzwischen zum SAP Information Collaboration Hub for Life Sciences gehört. Gerade die Blockchain bietet besonderes Potenzial, denn die Technologie ist übertragbar auf viele andere Branchen: Doherty nennt besonders die High-Tech-Industrie, den Handel und die Lebensmittelbranche.

Blockchain: Potenzial in Krisengebieten

Doch selbst innerhalb der Pharmabranche sind noch ganz andere Anwendungen denkbar. Besonders in den Schwellenländern sieht Oliver Nürnberg Potenzial, etwa in Südostasien oder Zentralafrika. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht in diesen Regionen davon aus, dass über 30 Prozent der Medikamente gefälscht sind. „Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen müssen oft Medikamente einsetzen, von denen sie nicht wissen, woher sie kommen“, sagt Nürnberg. Die technologische Infrastruktur ist entwickelt, so dass letztlich „nur“ noch ein Zugang über mobile Geräte geschaffen werden muss. Pharmaunternehmen profitieren gleich doppelt von der Technologie: Denn einerseits können sie mit dazu beitragen, dass weniger gefälschte Produkte zu den Patienten gelangen. Zum anderen haben sie mithilfe der Blockchain Transparenz darüber, wie viele Medikamente tatsächlich in Krisenregionen etwa beim roten Kreuz oder roten Halbmond ankommen und tatsächlich eingesetzt werden.

 

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