Für die Analysten von Gartner ist Robotic Process Automation (RPA) ein wichtiger Bestandteil der „Hyperautomatisierung“ und ein Tech-Trend des Jahres. Experten sagen, er werde Unternehmen und Branchen stärker beeinflussen als die meisten IT-Trends zuvor.
Wer den Begriff Roboter hört, stellt sich Apparate vor, die in Fertigungshallen arbeiten oder als selbstfahrende Maschinen umherflitzen. Routiniert erledigen sie die ihnen gestellten Aufgaben. Bei Robotic Process Automation (RPA) geht es aber um etwas vollkommen anderes.
Denn unter RPA versteht man keine physischen Maschinen, sondern Software-Anwendungen. Es handelt sich um Anwendungen, die eine menschliche Interaktion mit Benutzerschnittstellen von Softwaresystemen nachahmen. „Die Prozesse können ohne Unterbrechung rund um die Uhr 24 Stunden 7 Tage die Woche laufen – bei sinkenden Fehlerraten; ein Roboter hat keinen schlechten Tag, die Qualität ist immer gleich”, sagt RPA-Experte Sebastian Schrötel von SAP.
Er kümmert sich beim Walldorfer Software-Hersteller seit Jahren um Innovations- und Entwicklungsthemen. Schrötel ist auch Gründungsmitglied des Teams für Machine Learning (ML) und war an der Entwicklung der SAP-Vision vom „intelligenten Unternehmen“ beteiligt. Seit 2018 verantwortet er das Thema RPA.
Mit RPA zum intelligenten Unternehmen
„Maschinelles Lernen, intelligente robotergesteuerte Prozessautomatisierung und integrierte Analysefunktionen sind die Kernkomponenten für Unternehmen, die zu intelligenten Unternehmen werden möchten“, sagt Schrötel. „Automatisierung zahlt sich über die Zeit immer aus“, ist er überzeugt.
Für die SAP sei RPA als zusätzliche Komponente nur folgerichtig: „Die Grundidee, Geschäftsprozesse mit Software zu unterstützen ist nicht neu. SAP wurde mit der Idee gegründet, dass es intelligenter ist, Geschäftsprozesse in Software abzubilden, zu unterstützen und ausführen zu lassen als mit Papier und Stift zu arbeiten“, sagt Schrötel.
RPA sei praktisch die konsequente Fortentwicklung dieses Gedankens und habe sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Die Anforderungen an Automatisierung seien immer weiter gestiegen. Ursachen seien die zunehmende Globalisierung, sich immer schneller drehende Märkte, komplexere IT-Landschaften und die rasch fortschreitende Digitalisierung aller Geschäftsbereiche.
Robotic Process Automation sei als Bestandteil der „Hyperautomatisierung“ ein Trend des Jahres 2020, sagen die Experten von Gartner: „Die Automatisierung von einfachen, von Menschen ausgeführten Arbeitsabläufen auf Basis von Regelwerken ist eine Untermenge von Künstlicher Intelligenz (KI) und stark im Kommen.“
Automatisierung sei inzwischen ein Must-Have. Die Enterprise-IT werde in weitere und höhere Level von Automatisierung investieren. „In Zukunft übernehmen die Computersysteme die Ausführung der Geschäftsprozesse. Der Mensch kümmert sich um die schwierigen Ausnahmefälle oder die strategische Steuerung”, so Schrötel.
Für den SAP-Experten wird RPA zudem durch eine „Naturkonstante von Enterprise IT-Landschaften“ befördert: In Unternehmen gäbe es immer mindestens ein Legacy-System. Wenn dafür auf ein neues System migriert werden würde, entstünde, je mehr Zeit vergeht, wieder ein neues „Alt-System“. „RPA löst dieses Problem.“
RPA-Anwendungen in Finanz, Einkauf und HR
Die Möglichkeiten für RPA seien kaum begrenzt: Prozesse im Finanzwesen, Einkauf und im Personalwesen, aber auch in der Materialwirtschaft sind typische Anwendungen in klassischen SAP-Anwendungslandschaften. „Je repetitiver eine Aufgabe und je heterogener die IT-Landschaft, in der eine Aufgabe ausgeführt wird, desto wahrscheinlicher ist es ein RPA-Anwendungsfall“, sagt Schrötel.
Er nennt Beispiele von SAP-Partnern: ChipCard Solutions kümmert sich um die Nachvollziehbarkeit von Blutkonserven und nutzt RPA, um Daten mit Hilfe einer Blockchain-Technologie zusammenzuführen, die den Weg der Blutspenden lückenlos nachvollziehbar machen.
Der Polymerhersteller Rehau hat die Bearbeitung seiner Finanzdokumente automatisiert. Die Bearbeitung von rund 1.000 Finanz-Dokumenten dauerte bislang vier Tage. Der neue RPA Bot, der Dokumente nun zusammenführt und dann automatisch im SAP-System bucht, führt dieselbe Aufgabe in zehn Minuten aus.
Das Amt für Wirtschaft und Arbeit des schweizerischen Kantons Zürich bewältigt die derzeit vielen Voranmeldungen auf Kurzarbeit mit einem Software-Roboter von SAP. Normalerweise bearbeitet das Amt etwa zehn Anträge pro Monat. Im März schnellte die Zahl auf 30.000. Mittlerweile ist der Berg abgearbeitet. Die Effizienzsteigerung betrug bis zu 85 Prozent, erklärten die Verantwortlichen auf einer Pressekonferenz.
RPA als Baustein einer Business Technology Platform
Bei Prozessen mit hohen Transaktionsvolumen und Branchen werden Tausende von Dokumenten bearbeitet. „Ohne Automatisierung geht das nicht mehr”, sagt Schrötel. RPA sei zu einem notwendigen Baustein einer größeren „Business Technology Platform“ geworden, um die Effizienz von Geschäftsprozessen zu steigern. In alle SAP-Produkte würden RPA-Fähigkeiten integriert und mit Machine-Learning-Funktionen kombiniert.
RPA werde in Zukunft nicht mehr für sich allein stehen. Die Software-Roboter würden mit anderen Technologien wie Business Process Management (BPM), Process Mining, Business Intelligence (BI) und Middleware-Integrationstechnologien, aber auch Anwendungs-Entwicklungs-Plattformen, zu einer breiteren Business Technology Plattform als End-to-End-Lösung verschmelzen. Dadurch entstände eine holistische Plattform zur Automatisierung von Geschäftsprozessen.
Schrötel: „Wir wollen unseren Kunden sowohl eine leistungsstarke Anwendungslandschaft zur Verfügung stellen als auch eine Plattform, die – neben anderen Technologien – RPA als Komponente enthält, um so jede Art von Anwendungsfällen bei der Durchführung, Automatisierung und Anpassung von Geschäftsprozessen abzudecken.”
RPA nutzt Machine Learning- und Artificial Intelligence-Modelle
Nicht alles allerdings könne man mit RPA automatisieren. Um auch unstrukturierte Informationen automatisiert in die Prozesse übernehmen zu können, gibt es Lösungen, die sowohl RPA als auch Machine-Learning- und Artifical-Intelligence-Modelle nutzen.
„Intelligente Technologien setzen wir ein, um unstrukturierte Daten und Dokumente, Bilder oder Sprache automatisch zu bearbeiten, aber auch, um Entscheidungen zu treffen, die nicht über eine einfache Regel abgebildet werden können, sagt Schrötel. „Ein trainiertes Machine-Learning-Modell kann in einem Automatisierungsprozess sehr gut und mit hoher Frequenz datengetriebene Entscheidungen treffen”, so der RPA-Experte.
„Robotic Process Automation sind die Arme und Beine des Roboters, der nach etwas greift und Informationen und Dokumente von A nach B transportiert. Künstliche Intelligenz sind die Augen, der Mund und die Ohren“, beschreibt Schrötel den Zusammenhang zwischen RPA und KI.
Eines sollten Unternehmen, die ihre Geschäftsprozesse automatisieren wollen, aber beachten, rät Schrötel. Die oft strikte Trennung zwischen IT und Business müsse überbrückt werden. Denn alle Firmen mit erfolgreichen RPA-Projekten arbeiteten interdisziplinär. „Die Business-Units haben die besten Kenntnisse über die Prozessabläufe. Aber nur eine intelligente IT kann den lückenlosen und sicheren Betrieb über die Abteilungsgrenzen hinweg garantieren.“