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Windmöller & Hölscher

Das Migrationsprojekt bei Windmöller & Hölscher steht exemplarisch für eine Vielzahl von Unternehmen, die den Umstieg auf SAP S/4HANA planen. Erfahren Sie in dieser  Serie alles über die Planung, die Umsetzung und die gewonnen Erkenntnisse.

Der Maschinenbauer Windmöller & Hölscher hat sein ERP-System auf SAP S/4HANA umgestellt und IT-Projektleiter Stefan Bussmann blickt zurück und zieht Bilanz: Ist das Projekt wie geplant abgelaufen und wurden die Projektziele und der angestrebte Nutzen erreicht?

In den ersten beiden Teilen unserer dreiteiligen Serie haben wir die Entscheidungsfindung, Planung, Vorbereitung und die einzelnen Phasen des Projekts bis zum ersten Sandbox-System geschildert. In diesem Teil geht es um die letzten Vorbereitungen und das Go-live des SAP-S/4HANA-Systems – und um einen kritischen Rückblick auf den Projektverlauf. Welche Hindernisse musste Projektleiter Bussmann überwinden und was würde er heute anders machen. Und nicht zuletzt: Wurden alle Projektziele erreicht und kann W&H den Gewinn daraus ziehen, den das Unternehmen mit der Umstellung auf SAP S/4HANA angestrebt hatte?

Während der ersten Conversion einer SAP S/4HANA Sandbox waren noch eine Vielzahl von teilweise schweren Fehlern und Inkonsistenzen aufgetreten. Mit der zweiten Conversion wurde dann ein SAP S/4HANA Entwicklungssystem aus einer Kopie des ERP Produktivsystem aufgebaut und daraus mit einer Systemkopie ein neues Qualitätssicherungssystem erzeugt. „Diese Conversion war bei weitem nicht fehlerlos, lief aber schon ohne größere Probleme“, sagt Projektleiter Bussmann. Mit sechs weiteren Conversions, bei denen jeweils einzelne Problemfelder adressiert, Anpassungen, Laufzeitoptimierungen und Fehlerbehebungen vorgenommen wurden, wurde ein detaillierter Cut-Over Plan für die Conversion des Produktivsystems erarbeitet.

Im Anschluss daran wurde das Qualitätssicherungssystem auf Basis einer weiteren Conversion neu aufgebaut. Nach der Conversion des Qualitätssystem wurde eine mehrwöchige „harte Frozen Zone“ etabliert. Schon vorher war ein Parallelbetrieb des alten und neuen Systems eingerichtet worden. Dabei stellte eine „weiche“ Frozen Zone sicher, dass nur noch Anpassungen und Entwicklungen vorgenommen wurden, die das Projektteam freigegeben hatte. Ein akribisches Monitoring sorgte dafür, dass Änderungen jeweils parallel in beiden Systemen vorgenommen wurden. In der letzten Phase vor dem Go-live mit der harten Frozen Zone waren dann nur noch solche Eingriffe ins System erlaubt, die absolut dringend und unumgänglich waren.

SAP S/4HANA: Go-live in 72 Stunden

Während der Conversionphase und des Parallelbetriebs wurden umfangreiche Tests durchgeführt, wobei hierfür erstmals der SAP Solution Manager zum Einsatz kam. In dem mehrstufigen Testverfahren wurden Funktionen und Performance, aber auch die Integrität der Prozesse, die Integration und das Berechtigungskonzept eingehend unter die Lupe genommen. „Die Tests förderten mehrere Hundert Fehler zu Tage, die sich aber alle – teils mit wenigen Handgriffen, teils mit größerem Aufwand – beheben ließen“, blickt der Projektleiter zurück. Das ausgiebige Testen ist nach seiner Einschätzung unverzichtbar und zwingende Voraussetzung, um beim Go-live keine bösen Überraschungen zu erleben. „Wenn ich meine Erfahrungen für andere Anwender auf den Punkt bringen sollte, wäre das: testen, testen, testen.“

Das Go-live wurde so terminiert, dass mit der Umstellung Mittwochs nach Betriebsschluss – Donnerstag war Feiertag, Freitag Brückentag – begonnen wurde. Nach dem Zeitplan waren für die gesamte Umstellung inkl. technischer Conversion, Test, Schnittstellen und Abnahme 69 Stunden veranschlagt, die tatsächliche Laufzeit betrug dann 72 Stunden. An der Umstellung waren rund 130 Personen beteiligt, vor Ort oder auf Stand-by, so dass für jedes eventuell auftretende Problem jederzeit ein Spezialist zur Verfügung stand. Für die erste Betriebswoche mit S/4HANA waren ebenfalls SAP-Experten gebucht, die bereitstanden, um eventuelle Schwierigkeiten zu beheben.

Die gründliche Vorbereitung und exakte Planung haben sich ausgezahlt: Die Umstellung verlief ohne nennenswerte Probleme und fast exakt im Zeitplan. Von Beginn an waren alle relevanten Prozesse lauffähig, es gab keine kritischen Punkte, die den Betrieb gefährdet hätten und keine Produktivitätseinschränkungen. Nach der Conversion wurden rund 180 Tickets angelegt, die sich in ihrer Relevanz deutlich unterschieden. „Das reichte von ‚hat sich halt im SAP S/4HANA geändert und muss nur anders bedient werden’ und Fehlern, die schon im R/3 vorhanden waren bis hin zu tatsächlichen Problemen, die behoben werden mussten“, sagt Projektleiter Bussmann.

Fazit von Windmöller & Hölscher: positiv

Insgesamt seien alle Beteiligten mit dem Verlauf der Umstellung zufrieden, es gäbe keine Beschwerden und das neue System laufe „flüssiger“ als vorher. Er verzeichnet eine deutliche Geschwindigkeitssteigerung bei dem Gros der Transaktionen. So dauere zum Beispiel ein Bewertungslauf für Materialien, der früher 36 Stunden lief, heute nur noch zweieinhalb Stunden. Allerdings hätten sich anfangs besonders bei selbstentwickelten Anwendungen auch erhebliche Verlangsamungen ergeben, die dann manuell optimiert werden mussten. Das gelte auch für einige Funktionen im Bereich CO (Controlling), deren Performance sich teilweise signifikant verbessert, teilweise erheblich verlangsamt hätten.

Besonders im Gedächtnis geblieben ist ihm die Einführung des Business Partner bzw. der  CVI (Customer Vendor Integration). Aber auch eine Vielzahl von Dateninkonsistenzen, nach der Transformation korrupte Tabellen, nicht nachvollziehbare Default-Einstellungen etwa für Profit-Center- und Kostenstellenrechnungen, vom Standard abweichende Einstellungen für Währungen oder wegfallende Tabellen und Funktionen für das Außenhandelsgeschäft.

Dennoch fällt sein Fazit positiv aus: „In der Rückschau mag es so aussehen, als hätten wir nur mit Problemen zu kämpfen gehabt.“ Aber für ein Projekt dieser Dimension läge das im ganz normalen Rahmen: „Wir sind insgesamt sehr zufrieden mit dem Verlauf des Projektes und vor allem mit dem Ergebnis.“

Höhere Prozessqualität und Effizienz

Vor allem lobt er die bessere Prozessqualität. Deutlich vereinfachte Datenstrukturen sowie die Eliminierung von Datenredundanzen sorgen für Transparenz und eineindeutige Ergebnisse. Zusammengehörende Daten werden in einer Tabelle zusammengefasst und sind systemweit nur einmal vorhanden. Datenaggregate werden zur Laufzeit gebildet, weshalb Summentabellen, Indizes und Tabellen mit historischen Daten entfallen können. Auf dieser Basis unterstützt SAP S/4HANA eine einfachere Bedienung und die Möglichkeit operative Reporting direkt im System durchzuführen. Durch den Wechsel auf SAP S/4HANA wurde der Aufbau einer separaten EWM Systemlandschaft und Schnittstellen vermieden. Für die Finanzkonsolidierung war der Einsatz der SAP Lösung BPC geplant. Hier musste die ursprüngliche Entscheidung aufgrund der Weiterentwicklung von SAP S/4HANA angepasst werden. Nach einem Upgrade auf das SAP S/4HANA Release 1909 ist der Einsatz des Group Reporting nunmehr geplant.

Darüber hinaus verzeichnet W&H einen erheblicher Performancegewinn durch die neue Datenbanktechnologie und optimierte Anwendungen. Damit wird etwa die Unterstützung von operativen Prozessen durch analytische Auswertungen zur Laufzeit möglich. Neue Anwendungen und Bedienkonzepte bieten das Potential die Transparenz und Effizienz der operativen Prozesse zu erhöhen. „Es geht jetzt nicht mehr darum, jeden Vorgang im System zu begleiten beziehungsweise zu überwachen, sondern Ausnahmen und Störungen zu managen“, sagt Projektleiter Bussmann.

Er räumt ein, dass der Aufwand für die Einführung von SAP S/4HANA erheblich war:

  • Jeder SAP Keyuser hat im Projektverlauf im Schnitt rund 50 Manntage in das Projekt investiert
  • Die SAP Entwickler in der IT waren mit dem Projekt und der laufenden Wartung zu 100% ausgelastet
  • Für jeden SAP Anwender mussten im Schnitt ein bis zwei Tage Schulung eingeplant werden

Hinzu kamen Kosten für Hardware, Software-Lizenzen, IT-Dienstleister und Consulting. „Aber auch in das alte R/3-System hätten wir natürlich kontinuierlich investieren müssen“, sagt Bussmann. Neben den Gewinnen an Prozessqualität, Effizienz und Transparenz, die schwer zu beziffern sind, rechnet er mit Einsparungen bei den IT-Betriebskosten u.a. aufgrund einer vereinfachten Systemlandschaft. Vor allem aber sieht er das neue SAP S/4HANA als Investition in die Wettbewerbsfähigkeit: „Wir haben damit eine optimale Basis geschaffen, um zukünftig schnell und effizient neue digitale Applikationen und Geschäftsmodelle umsetzen zu können.“

Das Familienunternehmen Windmöller & Hölscher gehört zu den Weltmarktführern von Maschinen und Systemen zur Herstellung und Verarbeitung flexibler Verpackungen. Das Produktsortiment umfasst Hochleistungsmaschinen für Extrusion (Folienherstellung), Druck und Verarbeitung. Das Unternehmen ist weltweit vertreten und bietet von Beratung, Engineering und Lieferung von Maschinen bis hin zu individuellen Lösungen und kompletten Anlagen für die Verpackungsmittelproduktion alle Dienstleistungen und Produkte aus einer Hand. Das 1869 gegründete inhabergeführte Unternehmen, das heute weltweit rund 3.100 Mitarbeiter beschäftigt, feierte letztes Jahr sein 150-jähriges Firmenjubiläum. Maschinen und Anlagen von Windmöller & Hölscher sind bei mehr als 5.000 Kunden in über 130 Ländern im Einsatz. Die Unternehmensgruppe mit Hauptsitz in Lengerich, Nordrhein-Westfalen, erwirtschaftete 2018 rund 895 Mio. Euro Umsatz.