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Windmöller & Hölscher

Das Migrationsprojekt bei Windmöller & Hölscher steht exemplarisch für eine Vielzahl von Unternehmen, die den Umstieg auf SAP S/4HANA planen. Erfahren Sie in dieser  Serie alles über die Planung, die Umsetzung und die gewonnen Erkenntnisse.

Der Maschinenbauer Windmöller & Hölscher hat sein ERP-System auf SAP S/4HANA umgestellt. IT-Projektleiter Stefan Bussmann schildert, warum er ein individuelles Einführungsszenario ausgearbeitet hat, welche Maßnahmen er durchgeführt hat und auf welche Schwierigkeiten er bei der Conversion in ein erstes Sandbox-System gestoßen ist.

Im ersten Teil unserer dreiteiligen Serie haben wir die Entscheidungsfindung, Planung, und Vorbereitung des Projekts geschildert. In diesem Teil geht es um die eigentliche Durchführung des Projekts – von der Konzeption des Einführungsszenarios und der Etablierung eines Lenkungskreises bis zur Installation neuer Hardware, der Durchführung von Workshops und Schwierigkeiten bei der Conversion eines ersten Sandbox-Systems.

„Es war uns von Anfang an klar, dass wir bei einem Projekt dieser Größenordnung und Komplexität auf das eine oder andere Problem treffen würden“, sagt Stefan Bussmann. Trotz einiger Schwierigkeiten während der ersten Umstellungsphase zieht Projektleiter Bussmann ein durchweg positives Resümee: „Insgesamt sind wir sehr zufrieden mit dem Verlauf des Projektes – vor allem aber mit dem Ergebnis.“

Von Anfang an hat er den Ablauf und alle Schritte so gründlich wie möglich geplant, beginnend mit der Entscheidungsfindung welches Einführungsszenario für W&H am besten geeignet ist.  Grundsätzlich gibt es drei unterschiedliche Wege für den Umstieg auf  SAP S/4HANA: Die Neu-Implementierung, auch „Greenfield genannt“, bei dem SAP S/4HANA komplett neu eingeführt wird, die System Conversion auch  „Brownfield-Approach“genannt, bei dem das vorhandene R/3- auf ein S/4-System konvertiert wird, und die so genannte „Selective Data Transition“, eine Mischform der beiden vorgenannten Ansätze, wobei nach wie vor relevante Konfigurationsanteile und benötige (Alt-)Daten aus dem R/3-System wiederverwendet werden  und die Grundlage für das neue SAP-S/4HANA-System darstellen.

Einführungsszenario: technische Migration mit nachfolgenden Reorganisationsprojekten

In einer Bewertung entschied sich W&H gegen eine Selective Data Transition. Die möglichen verbliebenen Szenarien wurden nach verschiedenen Kriterien wie Laufzeit, Projektbeginn, Verzahnung mit anderen Projekten und den Auswirkungen auf den Betrieb und Weiterentwicklung der Anwendungslandschaft evaluiert.

Nach gründlicher Abwägung fiel die Entscheidung dann für das Szenario „technische Migration mit anschließenden Reorganisationsprojekten, kurz: 1 + 3“, und im Wesentlichen die technische Migration (System Conversion) auf SAP S/4HANA innerhalb eines Jahres mit nachlaufenden Reorganisationsprojekten in den folgenden drei Jahren vorsah. Dieses Vorgehen versprach den am wenigsten abrupten Wechsel und die geringste Beeinträchtigung des laufenden Betriebs während des Wechsels. Zudem ließen sich die anschließende Reorganisation und konzernweite Prozessanpassungen in Einzelprojekten realisieren so dass die Belastung für die Organisation besser steuer- und dosierbar war.

Etablierung von Lenkungskreisen

Für die Projektsteuerung wurden zwei Lenkungskreise etabliert:

  1. Operativer Lenkungskreis, bestehend aus Führungskräften aller Fachbereiche, Vertreter aus der IT und der involvierten Dienstleister, SAP und W&H Projektleiter
  2. Management-Lenkungskreis, bestehend aus W&H und SAP Management sowie dem W&H Projektleiter

Die bei IT-Projekten eher unübliche Einrichtung einer zweiten Leitungsinstanz, die das Business-Management aller Projektbeteiligten zusammenbrachte, erklärt sich vor allem damit, dass es zum Zeitpunkt des Projektbeginns noch kaum Erfahrungen mit SAP-S/4HANA-Migrationen gab. Insofern sollte der Management-Lenkungskreis einen kurzen Draht zwischen den Verantwortlichen aller Seiten herstellen, so dass etwaige Probleme schnell und mit entsprechender Handlungsmacht gelöst werden könnten – was sich dann im Laufe des Projekts als hilfreich erwies.

Workshops für Key-User und Entwickler

Mit Projektbeginn wurde im Rechenzentrum mit der Installation neuer Hardware begonnen. Die vorhandenen Systeme wurden durch neue IBM Power Server  ersetzt. Weiterhin wurden neue Storage-Systeme installiert, das Betriebssystem von AIX auf Linux umgestellt und neue Backup- und Business-Continuity-Lösungen implementiert.

Nachdem schon vor dem eigentlichen Projektbeginn mit einem Migration Planning Workshop mit SAP, Finanz- und IT-Abteilung sowie dem Controlling grundsätzliche Handlungsempfehlungen erarbeitet worden waren, wurden auch mit den Key-Usern „Warm-up“ Workshops durchgeführt. Deren letzter Kontakt mit SAP S/4HANA hatte während der Vorstudie stattgefunden und lag schon zehn Monate zurück,. „Das hat sich rückblickend als ausgesprochen nützlich erwiesen, weil so alle Beteiligten auf den neuesten Stand gebracht und auf das Projekt eingestimmt werden konnten“, sagt Bussmann.

Im Anschluss daran startete eine Serie von „FIT/GAP“-Workshops. Sie sollten dazu dienen, einen Vergleich zwischen den vorhandenen Prozessen mit den SAP S/4HANA Best Practices herzustellen und notwendige Entwicklungen und Prozessanpassungen zu identifizieren. Allerdings zeigte sich schnell, dass Methodik und Inhalte der Workshops den Erwartungen nicht gerecht wurde. „Es handelt sich bei den „FIT/GAP“-Workshops um eine Vorgehensweise, die sich für unsere Belange als nicht geeignet erwiesen hat, sagt der Projektleiter.  Die Vorgehensweise strebt eine Standardisierung der Prozesse an und hat nicht zum Schwerpunkt zu analysieren in wie weit die kundenspezifischen Prozesse beim Wechsel auf SAP S/4HANA lauffähig sind.

Die FIT/GAP Workshopserie wurden nach wenigen Veranstaltungen abgebrochen. Mit Hilfe des Management Lenkungskreises, der einen kurzen Draht zu den SAP-Verantwortlichen sicherstellte, konnte das Problem rasch gelöst werden: Auf SAP-Seite wurden neue Berater hinzugezogen und die Inhalte der Workshops auf die Bedürfnisse von W&H ausrichteten. Zur Zufriedenheit des Projektleiters: „SAP hat hier wirklich zügig und professionell reagiert – so stelle ich mir eine optimale Problemlösung vor.“ Im Ergebnis zeigte sich, dass der Wechsel auf SAP S/4HANA möglich ist und an welchen Stellen Anpassungen notwendig sind.

Probleme beim ersten Sandbox-System

Während der ersten SAP S/4HANA Sandbox Conversion ergaben sich noch eine Reihe von Inkonsistenzen und Knackpunkten: „Damit hatten wir natürlich gerechnet; eine solche Umstellung verläuft nie reibungslos, nicht umsonst stellt SAP spezielle Tools für die Transformation und die Fehleranalyse bereit“, erklärt Projektmanager Bussmann. So meldete der SUM (Software Update Manager) mehr als 50 zum Teil schwerwiegende Fehler, die oft aufwändige manuelle Nacharbeiten erforderten. Es zeigten sich unter anderem Inkonsistenzen im MM-Datenmodell (Material Management) sowie im Bereich FI (Finance), wo Fehler bei den Währungseinstellungen und Bewertungssichten auftraten. Auch gab es eine Vielzahl von Fehlermeldung bei der Integration selbst entwickelter Applikationen und Add-Ons. Auch das Thema CVI (Customer Vendor Integration) bereitete erhebliche Schwierigkeiten.

Denn anders als in älteren SAP-Systemen gibt es in SAP S/4HANA mit dem „Geschäftspartner“ ein zentrales Datenobjekt, welches verpflichtend für die Pflege der Stammdaten genutzt werden muss. Darunter fallen Kunden, Lieferanten und alle Geschäftspartner, mit denen Beziehungen unterhalten werden. Damit wird zwar eine durchgehende Harmonisierung der Stammdaten erzielt. Aber Anwender, die Daten aus älteren SAP-Systemen in SAP S/4HANA einlesen, müssen eine Konvertierung der bestehenden Kunden, Lieferanten und Geschäftspartnern vornehmen, um sie mit dem CVI-Datenmodell zu synchronisieren.

„Wir hatten ja schon viele Jahre ohne Probleme mit unserem SAP-R/3-System gearbeitet, aber bei der Übernahme in SAP S/4HANA gab es dann massenweise Fehlermeldungen“, blickt Bussmann zurück. Denn das alte System war erheblich fehlertoleranter und ließ auch unvollständige oder inkonsistente Stammdaten zu, die dann bei der Synchronisation zu Tage traten. Zusätzlich war ein Umstieg auf den Business Partner als führende Stammdatenobjekt im SAP-R/3-System nicht möglich, weil dieses nicht auf dem  hierfür relevanten Enhancement-Package-Stand war  und ein Upgrade angesichts der anstehenden Migration auf S/4HANA keinen Sinn gemacht hätte.

Auf Basis der ersten Conversion wurden bereits vorhandene Erkenntnisse aus der Vorstudie und den Workshops konkretisiert und gleichzeitig neue Erkenntnisse gewonnen, die sich nur bei der praktischen Umsetzung erzielen lassen. Fazit: Es gab zwar einen nennenswerten Anpassungsaufwand, der sich aber im Rahmen der Zeit- und Budgetplanung bewegte und mit gezielten Maßnahmen bewältigen lassen würde.

Das Familienunternehmen Windmöller & Hölscher gehört zu den Weltmarktführern von Maschinen und Systemen zur Herstellung und Verarbeitung flexibler Verpackungen. Das Produktsortiment umfasst Hochleistungsmaschinen für Extrusion (Folienherstellung), Druck und Verarbeitung. Das Unternehmen ist weltweit vertreten und bietet von Beratung, Engineering und Lieferung von Maschinen bis hin zu individuellen Lösungen und kompletten Anlagen für die Verpackungsmittelproduktion alle Dienstleistungen und Produkte aus einer Hand. Das 1869 gegründete inhabergeführte Unternehmen, das heute weltweit rund 3.100 Mitarbeiter beschäftigt, feierte letztes Jahr sein 150-jähriges Firmenjubiläum. Maschinen und Anlagen von Windmöller & Hölscher sind bei mehr als 5.000 Kunden in über 130 Ländern im Einsatz. Die Unternehmensgruppe mit Hauptsitz in Lengerich, Nordrhein-Westfalen, erwirtschaftete 2018 rund 895 Mio. Euro Umsatz.


Im nächsten Teil unserer Serie lesen Sie, wie W&H bei der technischen Conversion vorging, welche Maßnahmen und Anpassungen für die erfolgreiche Migration ergriffen wurden und wie der Go-live an nur einem Wochenende von statten ging. Darüber hinaus zieht Projektleiter Bussmann ein Fazit des Projekts und bilanziert, welche Ziele erreicht wurden, was er rückblickend anders machen würde und warum er das Projekt als großen Erfolg für sein Unternehmen ansieht.