Beim Thema „User Research“ – Benutzerforschung – denken viele wohl zuerst an Umfragen zur Benutzerfreundlichkeit eines Produkts. Doch hinter dem Begriff verbirgt sich weitaus mehr.
Uwe Betzin, Experte für User Experience Design (UX Design) bei der SAP, erläuterte, was Benutzerforschung für die IT-Branche bedeutet und wie sie uns bei unserer täglichen Arbeit unterstützen kann.
Vom Entwickler zum UX-Designer
Uwe Betzin könnte man als treibende Kraft für Veränderungen bezeichnen. Seinen beruflichen Werdegang bei der SAP begann er 2003 als Entwickler. Zwölf Jahre blieb er in der Entwicklung und war während dieser Zeit stets auf der Suche nach Richtlinien oder Best Practices, an denen er sich bei der Erledigung seiner Aufgaben orientieren konnte. Er hatte nämlich, scheinbar im Gegensatz zu seinen Kollegen, das Gefühl, nicht immer ein Patentrezept für jede Situation zur Hand zu haben.
Als er gebeten wurde, eine Benutzungsoberfläche zu entwerfen, stieß Betzin auf eine Grundlagenschulung zum Thema UX. Dieses Training war für ihn mehr als nur eine Einführung in den Bereich UX; er entschied sich sogar, zu 50 Prozent die Rolle eines UX-Advocates zu übernehmen. Als UX-Advocate für sein Entwicklungsteam kombinierte er Fachwissen über sein Team und seinen Bereich mit seinen Erfahrungen auf dem Gebiet von UX.
Schon bald erkannte Betzin, dass sein Herz nicht vorrangig für die Entwicklung, sondern für UX-Design schlug. Deshalb entschied er sich, ein sechsmonatiges Fellowship im UX-Team der SAP Business Suite zu absolvieren Und am Ende wechselte er dann vollständig in den Bereich User Research. Seitdem hat er sich dem Ziel verschrieben, Kunden für die Benutzung von Unternehmenssoftware zu begeistern, da diese ihnen den Arbeitsalltag erleichtern kann.
Benutzerrecherche unter Mitwirkung von Kundenbeiräten
Um Software zu entwickeln, die die Anforderungen der Kunden erfüllt, muss man die Bedürfnisse der Endbenutzer genau analysieren. Und wie könnte man dies besser erreichen als mithilfe direkter Interaktion?
Umsetzen ließe sich dies beispielsweise über einen Kundenbeirat unter der Leitung des für einen Bereich zuständigen Product Owners. Über dieses Gremium können Area Product Owner, Product Owner, Entwickler, UX-Designer und andere stets mit ausgewählten Kunden in Kontakt treten und beim Testen eines Produkts umgehend Rückmeldung von den Kunden erhalten.
Betzin gehört einem solchen Kundenbeirat an, der sich aus 80 Mitgliedern von 40 verschiedenen Kunden zusammensetzt – die meisten davon primäre Endbenutzer.
Es werden regelmäßig Treffen über Microsoft Teams abgehalten sowie jährliche Workshops und die üblichen Tests zur Benutzerfreundlichkeit. Vor allem aber wird vor Ort Benutzerforschung betrieben und für jedes Release finden eine Woche lang Kundentests statt. Bisher hat sich dieses Format für beide Seiten bewährt. Die Rückmeldung der Kunden lautete etwa: „Es ist großartig, zu sehen, wie unser Feedback umgesetzt wird“ oder „Bei dieser Software habe ich das Gefühl, als wäre sie genau für meine Bedürfnisse entwickelt worden“.
Als Mitglied eines Kundenbeirats profitiert Betzin davon, einen Eindruck von der Arbeitsweise der Kunden zu erhalten: „Ein Besuch beim Kunden erfordert minimalen Planungsaufwand, ohne weitere Formalitäten.“ Seiner Meinung nach liegt darin der Schlüssel für die Entwicklung guter Software: Auf diese Weise lassen sich nicht nur Kosten reduzieren, sondern es ist zudem einfacher, als Software zu entwickeln, an Kunden auszuliefern und am Ende Kundenmeldungen zu bearbeiten, weil manches nicht so funktioniert, wie es sollte. „Und wer ändert dann im Nachhinein das gesamte Coding?“ fragt er rhetorisch.
Um ein derartiges Szenario zu verhindern, schlägt Betzin vor, dass Product Owner Benutzerforschung betreiben und aktiv in ihre Roadmap mit aufnehmen. Das ist ein wichtiger Schritt, damit sie User Research richtig organisieren, Resultate prüfen, an Designs arbeiten und abschließend die Endergebnisse bewerten können, bevor das Produkt an Kunden ausgeliefert wird.
Product Owner fungieren als Schnittstelle zwischen dem Entwicklungsteam und dem Kunden. So sorgen sie nicht nur dafür, dass die Software zu aller Zufriedenheit ausfällt, sondern profitieren auch davon, dass weniger Entwicklungskapazitäten nötig sind und wahrscheinlich weniger Probleme und Kundenmeldungen anfallen.
Benutzerrecherche ist das A und O
Vielen Menschen ist nicht bewusst, wie positiv sich Benutzerforschung oder visuelles Design beziehungsweise Interaktionsdesign auf ihr Handeln auswirken kann und wie sie davon profitieren können. Laut Betzin spielt User Research für jeden in der Softwareentwicklung eine wichtige Rolle – vom Produktmanager bis zum Supportmitarbeiter. Sie alle sollten zumindest über Grundkenntnisse im Bereich Benutzerforschung verfügen, wissen, worauf es bei ihr ankommt und welche Vorteile sie bietet.
Die landläufige Meinung lautet scheinbar, dass Software einfach nur funktionieren müsse. Aber wann ist dem denn wirklich so? „Ein Entwickler kümmert sich darum, wie etwas funktionieren soll, wohingegen ein Designer darauf achtet, wie etwas angewendet wird“, verrät uns Betzin.
Das Fazit lautet: Es genügt nicht, Software oder Funktionen zu entwickeln, die einfach nur irgendwie funktionieren. Es geht darum, das Leben der Menschen zu verbessern. Und dazu braucht es ein offenes Ohr für die Bedürfnisse von Endbenutzern. Der Einsatz der richtigen Forschungsmethoden ist die Voraussetzung dafür, die Erwartungen, Arbeitsabläufe und Gewohnheiten von Benutzern zu verstehen. Erfahren Sie mehr über Benutzerforschung, einschließlich der 14 gängigsten Methoden für User Research bei der SAP, und laden Sie hier die neuen Methodikkarten für Benutzerforschung herunter.