Die Innovationszyklen bei elektronischen Geräten sind kurz – entsprechend müssen die Hersteller von Leiterplatten rasch auf neue Kundenanforderungen reagieren. Für die Unimicron Germany war das wegen intransparenter Prozesse in der Produktion nur schwer möglich – bis zur Einführung von SAP S/4HANA.
Ein Laie könnte ihn für das U-Bahn- oder Bus-Streckennetz einer großen Stadt halten: Dabei legt ein Leiterplattentwurf einfach nur detailliert fest, wo mechanische Bauteile für ein bestimmtes Gerät befestigt und wie sie miteinander verbunden werden. Nahezu jedes elektronische Gerät – vom Waffeleisen bis zum Industrieroboter – enthält heute eine oder mehrere Leiterplatten. Die Palette reicht von einseitigen Leiterplatten über Multilayer bis hin zu komplexen Sondertechniken.
Zu den führenden deutschen Leiterplattenherstellern gehört die im nordrhein-westfälischen Geldern ansässige Unimicron Germany GmbH. Im hochautomatisierten Werk des Unternehmens entstehen neben Standarderzeugnissen Hightech-Leiterplatten mit hohen Qualitätsanforderungen in anspruchsvollen Technologien, wie Dickkupfer- oder Semiflex-Technik vor allem für die Bereiche Automobilindustrie und erneuerbare Energien sowie für die Industrie.
Kompetitives Marktumfeld macht ERP-Modernisierung erforderlich
Der Wettbewerbsdruck in der Branche ist, vor allem durch ausländische Hersteller, erheblich. Zugleich bieten sich aber auch Wachstumspotenziale etwa durch die zunehmende Digitalisierung der Abnehmermärkte, erklärt etwa das Marktforschnungsunternehmen IBISWorld in seinem Report zur Lage und Entwicklung der Branche.
Um sich in diesem Marktumfeld zu behaupten, ist es für Hersteller entscheidend, schnell auf Kundenanforderungen zu reagieren, die sich aufgrund des allgemeinen technologischen Fortschritts kontinuierlich ändern. Auch sollten Unternehmen ihre Kapazitäten optimal auslasten und Arbeitsprozesse möglichst effizient gestalten. „Mit unserem veralteten ERP-System SAP R/3 konnten wir mit den aktuellen Marktanforderungen nicht mehr Schritt halten“, erklärt Henrik Voss, SAP-Projektmanager bei Unimicron. „Wir mussten mit der Zeit gehen, Stichwort: Digitalisierung. Als ein Zulieferer für den Automotive-Bereich ist für uns beispielsweise die Vernetzung mit Kunden und Lieferanten geradezu Pflicht.“
Unimicron stellt Prozesse mit SAP S/4HANA auf den Prüfstand
Das alte System sei in großem Umfang mithilfe kundenspezifischer Eigenentwicklungen angepasst und dadurch sehr unübersichtlich geworden, so Voss. Eine unternehmensweite Sicht auf die Finanz- und Controlling-Prozesse, aber auch auf die Produktions- und Steuerungsabläufe war damit nur schwer möglich. „Wir mussten dringend für mehr Transparenz in praktisch allen Bereichen sorgen, um einen Gesamtblick auf die Lage des Unternehmens zu erhalten: weg von den ganzen Excel-Insellösungen hin zu einer Single-Source-of-Truth“, resümiert der SAP-Projektleiter. „Deshalb wollten wir endlich das innerhalb der Unimicron Germany schon länger geplante Vorhaben realisieren, SAP S/4HANA On-Premise einzuführen – und zwar zusammen mit unserem Partner Cpro Industry im Greenfield-Ansatz. Unser Ziel war es, die gesamten Prozesse von der Buchhaltung über den Einkauf und Produktion bis zum Vertrieb auf den Prüfstand zu stellen.“
Start des Projektes war im Mai 2018 mit der ersten von drei Phasen, in der zunächst essentielle Prozesse – wie rudimentäre Buchhaltungsprozesse – und Programme migriert wurden. Und ganz wichtig: Individuelle Anpassungen sollten, wenn irgend möglich, außen vorbleiben, um stattdessen auf den SAP-Standard zurückzugehen. In Phase 2 ging es dann darum, die migrierten Prozesse weiter zu verbessern, um das Potenzial von SAP S/4HANA weiter auszuschöpfen. Phase 3 schließlich widmet sich der Umsetzung der neuen Oberfläche auf SAP Fiori und ist noch nicht abgeschlossen.
Key User: Prozesswissen aus dem Herzen des Unternehmens
Bereits zehn Monate nach dem Projektstart war das System bereit für den Go-Live: „Die Umstellung erfolgte vom 28. Februar auf den 1. März 2018“, schildert Voss. „Der erste Meilenstein und Höhepunkt für uns war die erste Rückmeldung des Neusystems schon am 2. März – damit hatte wir quasi den großen Schalter umgelegt und waren auf ein SAP S/4HANA umgeschwenkt.“ Das sei in dem Traditionsunternehmen Unimicron nicht immer leicht gewesen, räumt Voss ein. Es sei immer wieder aufs Neue darauf angekommen, gewachsene Strukturen aufzubrechen und den Mitarbeitern die Angst vor Veränderungen zu nehmen. „Rückwirkend betrachtet haben zwei Instrumente entscheidend zur Akzeptanz in der doch sehr heterogenen Belegschaft beigetragen: Das Einbeziehen von Key Usern und das Aufsetzten so genannter Show-me Meetings“, resümiert Voss.
Die Key-User-Gruppe wurde bewusst so heterogen zusammengesetzt wie dies der Mitarbeiterstruktur von Unimicron entspricht: Aus jedem Fachbereich bildeten ein SAP-erfahrener und ein eher SAP-unerfahrender Anwender ein Key-User-Team, um so Raum für SAP-Knowhow, aber auch für eine unvoreingenommenere Sichtweise zu schaffen. Anna Deselaers hat als eine von zwei Key-Usern aus dem Kernteam Produktionsplanung das Projekt begleitet. „Meine Aufgabe war vor allem, mein Wissen über die Prozesse im Unternehmen in das Projekt einzubringen.“ Damit der Einsatz der Key User reibungslos funktioniere, komme es vor allem auf ein gutes Zeitmanagement an: „Der Aufwand für die Key User sollte keineswegs unterschätzt werden“, mahnt Deselaers. „Zwei Tage pro Woche sind für ein solches Projekt realistisch. Diesen Aufwand hat Henrik Voss direkt mit meinem Vorgesetzten abgesprochen, so dass es in der Umsetzungsphase keine Überraschungen gab – das war aus meiner Sicht sehr wichtig für den Projekterfolg.“
Show-me Meetings: Wertvolle Tipps aus erster Hand für die Kollegen
Die Ergebnisse ihrer Arbeit stellten sich die Key User in eigens konzipierten Workshops vor: den so genannten Show-me Meetings, die in größeren, aber regelmäßigen Abständen für gleich zwei Tage am Stück angesetzt waren. „Die Show-me Meetings waren eine Idee unseres Implementierungspartners Cpro Industry. Dort stellten sich die Key User als Anwender des Systems gegenseitig vor, wie ihre Prozesse künftig in SAP S/4HANA ablaufen sollten“, erklärt Henrik Voss. In der Abgeschiedenheit der Meetings konnten die Key User als jeweilige Spezialisten für ihr Gebiet ihre Erfahrungen mit dem ERP-System schildern und ihren Kollegen wertvolle Tipps für die Gestaltung der SAP-Prozesse geben. „Das war ein tolles Instrument, weil hier alle aufkommenden Probleme – zum Beispiel typische Schnittstellenprobleme etwa zwischen Produktion und Vertrieb – schon frühzeitig zur Sprache kamen“.
Das zentrale Ziel – mehr Transparenz, vor allem in den Bereichen Finanzen und Produktionssteuerung – haben Voss und sein Team mit der Umstellung auf SAP S/4HANA klar geschafft. So gehören Auswertungen zur Kapazitätsauslastung und -planung, die so früher nicht möglich waren, heute in der Unimicron zum Tagesgeschäft. Und mehr noch: Mit der Umstellung auf SAP S/4HANA kann das Unternehmen nun auch die integrierten Funktionalitäten für das Qualitätsmanagement nutzen. „Qualität ist für uns im Leiterplatten-Sektor ein wichtiger Wettbewerbsfaktor“, sagt Voss. „Seit dem Systemwechsel können wir bereits in der Fertigung bestimmte Prüfmerkmale erfassen und auf diese Weise alle Produktionsschritte, vom Auftrag bis zur Charge, zurückverfolgen. Somit konnten wir auch in der Qualitätssicherung für deutlich mehr Transparenz sorgen.“
Nach der Migration ist vor der SAP-Fiori-Einführung
Doch trotz der erzielten Erfolge kann und will sich Voss nicht zurücklehnen. Das System ist zwar implementiert, aber es bietet noch jede Menge Potenzial, das ausgeschöpft werden will. „Wir sind dabei, unsere Geschäftsprozesse weiter zu verbessern, weiter zu automatisieren und die Datenqualität weiter voranzutreiben.“ Der nächste weitere große Schritt, der überdies bevorsteht, ist der Wechsel auf die SAP Fiori Oberfläche. „Diese Umstellung lässt sich in einem Traditionsunternehmen wie Unimicron, in dem über Jahre mit der klassischen Benutzeroberfläche gearbeitet wurde, besser als eigenes Folgeprojekt umsetzen. Aber mit den Erfahrungen aus der SAP-S/4HANA-Migration blicken wir zuversichtlich auch auf diese Umstellung.“