Unser Klima verändert sich und weltweit hängen 1,47 Milliarden Arbeitsplätze von einem stabilen Klima ab.
Richten wir deshalb unsere Aufmerksamkeit darauf, wie diese Krise neue Chancen für Unternehmen und den einzelnen Menschen schaffen kann. In diesem Artikel diskutieren Gitte Winther Bruhn, Global Head of Social Responsibility Solutions bei der SAP, Alexandra van der Ploeg, Global Head of Corporate Social Responsibility bei der SAP, und Robert Richardson, strategischer HR-Tech-Berater, darüber, wie wichtig Weiterbildung für den Wandel zu einer nachhaltigen Welt ist. Dieser Wandel wird uns helfen, unseren Planeten, unsere Umwelt und den „sicheren Ort für die Menschheit“ – unsere Gesellschaft, unsere Freunde und unsere Familien – für künftige Generationen zu schützen.
Wenn es um die Folgen des Klimawandels geht, spricht scheinbar noch kaum jemand von den sozialen Auswirkungen – und als Chance werden sie schon gar nicht aufgefasst. Können Sie uns sagen, worum es dabei geht?
Winther Bruhn: Bei der Diskussion über den Klimawandel geht es vor allem um Treibhausgasemissionen, nicht um die Auswirkungen auf den Menschen. Wir haben die Möglichkeit, neben Maßnahmen für den Klimaschutz auch die Ungleichheit unter den Menschen durch eine integrative nachhaltige Wirtschaft zu bekämpfen. Qualifizierte Arbeitskräfte werden für den Wandel von entscheidender Bedeutung sein, da für eine nachhaltigere Wirtschaft neues, „grünes“ Know-how notwendig ist – sowohl für neu entstehende als auch für bestehende Jobs, die sich weiterentwickeln. Ohne eine entsprechend ausgebildete Belegschaft wird dieser unbedingt notwendige Wandel zu einer nachhaltigen Welt nicht möglich sein. Aktuelle Studien gehen davon aus, dass der weltweite Fachkräftemangel bis 2030 bei über 85 Millionen liegen wird, was etwa der Gesamtbevölkerung Deutschlands entspricht. Und 85 Prozent dieser Jobs müssen erst noch entwickelt werden. Die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften übersteigt das Angebot und wird sich auf die Gesellschaft und die Unternehmen auswirken. Das ist eine Herausforderung, aber sie bietet uns gleichzeitig eine so noch nie dagewesene Möglichkeit, neue Jobs zu schaffen.
Fachliche Kompetenz im Bereich Nachhaltigkeit ist entscheidend
Wenn sich etwa ein Unternehmen zur Klimaneutralität verpflichtet, bedeutet dies, dass es seine Betriebsabläufe grundlegend ändern muss. Es muss seine Emissionen messen, Aktionspläne ausarbeiten, Änderungen umsetzen, die Zielerreichung der Nachhaltigkeitsziele messen und dokumentieren sowie entsprechende Anpassungen vornehmen. Zudem ist es erforderlich, das Schulungs- und Weiterbildungsangebot für die arbeitende Bevölkerung weltweit entsprechend umzugestalten. Um zu verstehen, wie Kompetenzen im Bereich Nachhaltigkeit in Jobs zum Tragen kommen, muss man feststellen, wo es Lücken gibt und welche Maßnahmen wir ergreifen können, um sie zu schließen. Ein integrativer Wandel zu einer nachhaltigen Welt könnte in den nächsten zehn Jahren Millionen von Arbeitsplätze schaffen, jedoch nicht ohne erhebliche Investitionen in Weiterbildungsmaßnahmen.
Kompetenzen im Bereich Nachhaltigkeit sind die Bausteine des Wandels zu einer nachhaltigen Welt, um das dafür notwendige Humankapital zu erschließen – auf faire Art und Weise, bei der niemand auf der Strecke bleibt. So stellt der Wandel zu einer nachhaltigen Wirtschaft für Hunderte Millionen von Menschen in Afrika die größte Hoffnung auf einen Weg aus extremer Armut dar. Langfristig würden dadurch neue Arbeitsplätze und zusätzliche Investitionen geschaffen, die die nachhaltige Entwicklung des Kontinents ermöglichen. Für Afrika ist dies von entscheidender Bedeutung, da etwa 70 Prozent der Bevölkerung unter 30 Jahre alt sind und jedes Jahr neue Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) schätzt, dass der Ausbau der Solar- und Windenergie im Senegal bis 2035 bis zu 30.000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen wird.
Für uns gibt es drei zentrale Akteure bei diesem Wandel: Regierung, Arbeitgeber und der einzelne Mensch. Was sind dabei die größten Herausforderungen und Aufgaben für Arbeitgeber?
Richardson: Es ist toll, dass sich Tausende von Unternehmen zur Klimaneutralität verpflichten. Die meisten Unternehmen verfügen aber noch nicht über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, um ihre Verpflichtungen auch einhalten zu können. Nachhaltigkeitsziele lassen sich nur mit den erforderlichen Fachkenntnissen erreichen. Dazu zählen spezifische Datenanalysen zu Emissionen und Energieverbrauch, Hardware-Fachkenntnisse zur Installation von Energiemonitoring-Modulen, Know-how im Bereich Kommunikation und Marketing, wie das Thema Nachhaltigkeit in bestimmten Märkten aufgenommen wird und vieles mehr.
Unternehmen müssen ihre Anstrengungen besonders auf drei wichtige Bereiche richten:
- Gutes Jobdesign: Tätigkeitsprofile sollten mit Blick auf die passenden Anforderungen erstellt werden. Für einige Rollen wird gezieltes Fachwissen im Nachhaltigkeitsbereich erforderlich sein. Doch meist genügen schon Grundkompetenzen, um sicherzustellen, dass das gesamte Unternehmen einen einheitlichen Kurs fährt und Nachhaltigkeitsziele erreicht. Datenspezialisten benötigen nicht unbedingt einen Abschluss in Nachhaltiger Entwicklung. Mitarbeitende im Einkauf müssen nicht fünf Jahre in einer Abteilung für soziale Verantwortung gearbeitet haben, um Produkte und Dienstleistungen mit geringerem CO2-Fußabdruck zu kaufen. Passend konzipierte Jobs greifen diese Anforderungen auf und sorgen damit für entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen und dafür, dass Unternehmen Fachkräfte gewinnen und Bewerber nach ihrer Eignung beurteilen können.
- Fachkräfte gewinnen: Das Anwerben qualifizierter Arbeitskräfte geht über die Veröffentlichung von Stellenanzeigen hinaus. Bei der Wahl ihres zukünftigen Arbeitgebers prüfen Bewerber regelmäßig, ob sich Unternehmen nachhaltig positionieren. Personalvorstände und für die Talentakquise zuständige Führungskräfte, die darauf achten, dass bei der Personalanwerbung ihr Engagement für mehr Nachhaltigkeit im Mittelpunkt steht, werden unverhältnismäßig viele dieser Job-Aspiranten für sich gewinnen können. Die Menschen möchten nicht einfach nur Geld verdienen; sie möchten etwas bewegen. Bei Greenwashing zeigen sich die Bewerber jedoch skeptisch. Unternehmen müssen also beweisen, dass sie es ernst meinen, ihr Bekenntnis zu Nachhaltigkeit und ihre bisherigen Erfolge unterstreichen und in attraktive Jobs investieren.
- Fachkräfte weiterbilden: Unternehmen können nicht nur überprüfen, ob ihre Stellen die Anforderungen enthalten, die zur Erreichung ihrer Nachhaltigkeitsziele notwendig sind. Sie können auch untersuchen, welche Fähigkeiten ihre Mitarbeitenden mitbringen. Wenn sie wissen, welche Fähigkeiten sie benötigen – Stichwort „Jobdesign“ – und über welche sie bereits verfügen – dies betrifft die Kompetenzen ihrer Mitarbeitenden – können Unternehmen herausfinden, wo es bei der Erfüllung ihrer Nachhaltigkeitsziele noch hakt. Ohne ausgereifte Software und die nötigen Machine-Learning-Funktionen zur Prozessoptimierung mag dies offen gesagt wie eine Herkulesaufgabe erscheinen. Doch es lohnt sich. Seine Qualifikationsdefizite zu kennen ist der Schlüssel zu effektiven, personalisierten Weiterbildungsprogrammen. Ein personalisiertes Schulungsangebot, Ziel- und Leistungsmanagement fördern das Engagement der Mitarbeitenden und ihre Bindung an das Unternehmen sowie die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele.
Aktuell kann der Arbeitsmarkt nicht mit dem stetig steigenden Angebot an „grünen“ Jobs mithalten. Unternehmen mit gut durchdachten beruflichen Tätigkeitsprofilen, sinnvollem Personalmarketing und personalisierter, datengestützter Talentförderung haben die besten Chancen, ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
Nachdem wir nun über die Chancen und Pflichten der Arbeitgeber in ihren Betrieben und Abläufen gesprochen haben, stellt sich die Frage, welche Rolle Corporate Social Responsibility (CSR) dabei zukommt?
Van der Ploeg: Corporate Social Responsibility steht für die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen. In den meisten Firmen sind die CSR-Teams deshalb dafür zuständig, die sozialen und ökologischen Initiativen des Unternehmens zu betreuen und umzusetzen. Sie spielen somit eine wichtige Rolle beim Wandel zu einer nachhaltigen Welt und beim Kampf gegen Qualifikationsdefizite und den Fachkräftemangel. Die CSR-Strategie sollte berücksichtigen, dass gesellschaftliche, ökologische und wirtschaftliche Herausforderungen eng miteinander verwoben sind. CSR-Teams können daher Grundlagen für ihr eigenes Unternehmen schaffen und mit anderen zusammenarbeiten, um gemeinsame Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Die SAP setzt dies bereits erfolgreich um: Gesellschaftliche Verantwortung ist ein fester Bestandteil ihres Nachhaltigkeitskonzepts.
Mit Bildungsangeboten dem Fachkräftemangel begegnen
Nicht nur im eigenen Betrieb werden Unternehmen den Fachkräftemangel zu spüren bekommen. Auch in ihren Partnernetzwerken wird er sich bemerkbar machen. Er wirkt sich auf alle Beteiligten am Wirtschaftsgeschehen aus und es ist offensichtlich, dass der Engpass bei den Fachkräften am Kompetenzdefizit liegt und nicht an fehlenden Bewerbern. Die Zahl der Lernwilligen ist hoch. Daher sollten Unternehmen in ihrem eigenen Interesse alle ihnen verfügbaren Mittel in hochwertige Bildungsangebote investieren. CSR-Teams und ihre Netzwerke verfügen über das nötige Know-how, um solche strategischen Programme durchzuführen. Letztes Jahr zum Beispiel hat die SAP ihre Partnerschaft mit UNICEF zur Unterstützung von Generation Unlimited verlängert. Diese Initiative will jungen Leuten zu besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt verhelfen. Dieses Jahr werden die SAP und Generation Unlimited ein Pilotprogramm auflegen, das benachteiligte junge Menschen in ihrer Ausbildung für einen erfolgreichen Berufseinstieg in die digitale und „grüne“ Wirtschaft unterstützt. Sie erlangen die nötigen fachlichen und sozialen Kompetenzen, um sich für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren.
Die Folgen des Klimawandels und anderer globaler Entwicklungen wie der Coronapandemie wirken sich häufig auf die Ärmsten der Welt aus. Alle negativen Einflüsse auf die wirtschaftlichen oder ökologischen Systeme schaden den Sozialsystemen, worunter vor allem gesellschaftliche Randgruppen besonders stark zu leiden haben. Deshalb konzentriert sich unser Pilotprogramm auf benachteiligte Jugendliche auf den Philippinen, in Nigeria, Kenia und Südafrika – mit dem Ziel, im ersten Jahr mehr als 500.000 junge Menschen zu erreichen. Sie erhalten grundlegende und SAP-spezifische Kenntnisse, die ihnen den Weg zu einer erfolgreichen Karriere im SAP-Partnernetz ebnen sollen. Hinzu kommen praktische Erfahrungen am Arbeitsplatz sowie Coaching und Mentoring für einen erfolgreichen Start ins Berufsleben. Für das Programm ist das wirklich ein Gewinn, da es im Partnernetz der SAP dann qualifizierte junge Menschen geben wird, die unsere Partner und Kunden bei ihrer digitalen Transformation und dem Erreichen ihrer Nachhaltigkeitsziele unterstützen. Gleichzeitig profitieren die jungen Talente von besseren Karrierechancen und einem ausreichenden Einkommen für ein menschenwürdiges Leben.
Auswirkungen des Klimawandels auf den Arbeitsmarkt
Welche Chancen und Pflichten sehen Sie für Regierungen bei diesem Wandel?
Winther Bruhn: Der Wandel bietet eine einmalige Chance, funktionierende Arbeitsmärkte weiter zu optimieren: durch ausgereifte soziale Sicherungssysteme mit dem Fokus auf Bildungs- und Integrationsmaßnahmen sowie eine für die Zukunft gerüstete Erwerbsbevölkerung. Heute werden viele internationale Abkommen unterzeichnet, ohne dabei die Auswirkungen auf Arbeitsmärkte und den Qualifikations- und Ausbildungsbedarf im Blick zu haben. Regierungen haben die Möglichkeit, im Kampf gegen den Klimawandel auf eine aktive Beschäftigungspolitik zu setzen und so die Schaffung grüner Arbeitsplätze maßgeblich voranzutreiben. Dies kann nur gelingen, wenn die verschiedenen Ministerien und der private Sektor, einschließlich Arbeitgebern und Arbeitnehmern, ihre Maßnahmen gut aufeinander abstimmen und dadurch ein Missverhältnis zwischen den verfügbaren und den benötigten Qualifikationen verhindern bzw. verringern.
Zum Schluss möchte ich kurz einen weiteren Hauptakteur erwähnen, nämlich uns selbst. Unser Handeln ist wichtig, da es insgesamt zu politischen Veränderungen führen kann. Wir alle müssen offen für Veränderungen sein und die Chancen nutzen, die mit dem Wandel zu einer nachhaltigeren Wirtschaft einhergehen. Wir müssen uns für ein Heizungssystem für unser Zuhause entscheiden, wir müssen überlegen, wie die Autos der Zukunft angetrieben werden sollen, und unsere Ernährung überdenken, um emissionsintensive Lebensmittel zu vermeiden. Wir müssen proaktiv handeln, die Verantwortung für unsere eigenen Fähigkeiten übernehmen und bereit sein für berufliche Flexibilität. Lebenslanges Lernen muss für uns zur Selbstverständlichkeit werden.
Abschließend möchte ich sagen, dass alle Beteiligten – Regierungen, Unternehmen und Arbeitnehmer eingeschlossen – unbedingt zusammen an einem neuen Gesellschaftsvertrag arbeiten und sicherstellen müssen, dass wir gemeinsam vorankommen – hin zu einer Zukunft, die allen dienlich ist.
Simone Maienfisch arbeitet im Bereich New Business & Industry Strategy bei der SAP.