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Anfang der 2000er-Jahre starteten viele Chemieunternehmen eigene Webshops – digitale Verkaufsplattformen für B2B. Die Entscheidungen wurden auf der obersten Hierarchieebene getroffen und an die unteren Ebenen weiter gegeben. Und da die meisten der Unternehmen bereits über eine große Anzahl an Entwicklern verfügten, lag es nahe, intern einen eigenen, maßgeschneiderten Webshop zu entwickeln.

Die Anwender zu befragen war damals nicht nötig, denn es waren keine Standards festgelegt. Auf dem Markt gab es noch keine entsprechenden B2B-Lösungen. Aber Kunden fragten bereits nach einer Amazon-ähnlichen Plattform, auf die sie rund um die Uhr zugreifen können. So kam es dazu, dass viele Webshop-Projekte gestartet wurden. „Bestellen, wann Sie wollen“ und „Informationen abrufen, wann immer Sie sie benötigen“ waren die typischen Verkaufsslogans und sie zeigten rasch Wirkung. Das Modell des Online-Shops wurde mehr und mehr genutzt.

Um den Erfolg des Shops zu messen, ermittelten die Unternehmen den Prozentsatz der Bestellungen, die über elektronische Kanäle eingingen. Anhand der Ergebnisse berechneten sie die Ziele für Vertrieb und Kundenservice. Die Zahl der Online-Bestellungen ging regelrecht durch die Decke und plötzlich war jeder Kunde ein Webshop-Kunde.

So schossen im Jahr 2005 in der chemischen Industrie die Webshops wie Pilze aus dem Boden. Heute, 15 Jahre später, stellen sie jedoch eine Herausforderung dar. Die meisten der komplexen und aufwändigen Online-Shops sind noch immer in Betrieb – wie eine robuste, langlebige Maschine. Die Benutzeroberfläche versetzt den Anwender oft zurück in alte Zeiten, als man noch AOL, Yahoo und den Netscape-Browser nutzte. Navigation und Suchfunktionen, ja sogar das gesamte Kundenerlebnis, waren ganz klar für eine andere Zeit konzipiert.

Der Webshop damals und heute

Das Kundenerlebnis zu messen und zu optimieren ist wichtig, denn es wirkt sich auf die gesamte Unternehmensstrategie aus. Deshalb investieren Unternehmen wieder in ihre Webshops. Technologie und Erwartungen haben sich grundlegend geändert, doch die Webshop-Konzepte oftmals nicht.

In der Vergangenheit wurde es als unwichtig erachtet, ob der Online-Shop den Kunden gefällt. Heute werden erfolgreiche Shops aus der Sicht des Nutzers entwickelt. Früher gab es Grenzen bei den internen Prozessen und der Integration, aber heute hilft der Blick in die Vergangenheit nicht weiter, wenn ein Webshop überarbeitet werden soll.

Parallelen zum iPhone

Die Zeiten haben sich geändert. Und in der IT sind 20 Jahre so lang wie ein ganzes Jahrhundert. Erinnern Sie sich noch, was am 9. Januar 2007 geschah? Apple stellte das iPhone vor – in einer Zeit, in der viele Leute das Internet noch als Hype sahen. Heute gehören Smartphones zum Alltag, und es ist zuweilen sogar schwer, sich an das Leben vor dem iPhone zu erinnern. Doch öffnet man den Webshop eines Chemieunternehmens auf einem neuen Smartphone, erinnert man sich plötzlich wieder an diese Zeit. Einige Webshops sehen aus wie Relikte aus vergangenen Zeiten. Die Nutzung gleicht einem Ratespiel und viele Kunden spielen dieses Spiel täglich, wenn sie ihr Mobiltelefon nutzen, um nach bestimmten Chemikalien zu suchen und sie zu bestellen.

Es gibt Parallelen zwischen dem Webshop und dem Smartphone: Zeit, Entwicklung und Geschwindigkeit.

Unternehmen, die darüber nachdenken, ihre alte, selbst entwickelte Software durch eine hochmoderne Lösung zu ersetzen, können davon ausgehen, dass sie für die nächsten Jahre gut gerüstet sind. Bei der Entwicklung hatten sie bisher hauptsächlich interne Aspekte berücksichtigt und der Anteil der Online-Bestellungen war die einzig relevante Leistungskennzahl. Heute sollten sie dies jedoch aus einem anderen Blickwinkel betrachten, denn im Zeitalter der Cloud gibt es neben Vorteilen auch ein paar Einschränkungen – und das ist gut so.

Anforderungen an den Webshop steigen

In der Welt des E-Commerce, gibt es viele neue Dinge, die zu berücksichtigen sind. Zum Beispiel das Problem mit der doppelten Eingabe von Bestellungen. Kunden sind heute nicht mehr so schnell bereit, zu akzeptieren, dass sie eine Bestellung in einem System erstellen und dann die gleichen Informationen in einem anderen System eingeben müssen. Über 50 Prozent der Käufer in Unternehmen gehören der Generation X oder Y an.

Dementsprechend haben sich die Anforderungen gewandelt. Immer mehr Kunden möchten, dass sich die Anbieter in die Lage der Kunden versetzen. Sie erwarten, dass die Lieferanten bestimmte wesentliche Informationen in ihren Portalen veröffentlichen. Self-Service bedeutet heute mehr als nur Bestellungen eingeben und Rechnungen herunterladen. Die Kunden von heute möchten nichtkonforme Prozesse verfolgen, Portfolio-übergreifende Angebotsanfragen stellen, Verträge mit Produkten verknüpfen, auf Informationen der Logistikkette zugreifen und natürlich ihre Arbeit auf schnelle und einfache Weise erledigen, vielleicht sogar Gebote für Auktionen abgeben.

Die Kultur spielt dabei, wie immer, eine wichtige Rolle. Kunden zu zwingen, ein Tool zu verwenden, das ihnen keinen Mehrwert bringt, endet in Kunden- und Umsatzverlusten. Anstatt sie zu zwingen, ist es besser, den Weg des Verstehens, der Anpassung und Veränderung zu gehen.

Ein weiterer Aspekt, der auch oft unterschätzt wird, ist die richtige Orchestrierung der Absatzkanäle. Bei der so genannten Omnichannel-Orchestrierung geht es darum, die zahlreichen Vertriebskanäle und Kundenkontaktpunkte zu steuern und zu kontrollieren. Hat ein Unternehmen diese Kanäle nicht im Griff, können Risiken und Probleme auftreten. Ist zum Beispiel der Kontaktkanal nicht der Kanal für Kundenbetreuung, werden die Vertriebsmitarbeiter sich wundern.

Seit 2016 stellen Online-Marktplätze die eher konservative Chemiebranche auf den Kopf. Die meisten dieser Marktplätze befinden sich in China. Im Jahr 2018 war China mit 1.198 Milliarden Euro Gesamtumsatz der mit Abstand größte Chemieproduzent der Welt. Die neun nächstplatzierten Länder erwirtschafteten gemeinsam 1.341 Milliarden Euro, angeführt von den USA mit 468 Milliarden. Denken Sie also darüber nach, wo Sie Unternehmenswachstum sehen und fragen Sie sich, was dies für Ihre E-Commerce-Strategie bedeutet.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Konzept des Kundenwerts. Unternehmen stecken ihre Kunden gerne in Schubladen. Mithilfe der ABC-Analyse teilen sie ihre Kunden in Segmente ein. Oder sie geben ihnen Namen wie „Preiskäufer“ oder „Produktinnovator“. Preiskäufer mögen Standardprodukte und das Standardgeschäft wird durch die Online-Marktplätze auf den Kopf gestellt – jetzt, in diesem Augenblick. Produktinnovatoren sind möglicherweise gar nicht am E-Commerce-System interessiert, denn sie wissen, dass sie besondere Kunden sind. Sie lieben es, wann man ihnen den roten Teppich ausrollt.

Deshalb ist der Verkauf komplizierter geworden. Ein Webshop ist heute Teil der Gesamtstrategie eines Unternehmens. Er muss in die neue Welt passen und zur Lösung der Probleme und Herausforderungen von Kunden beitragen.

Der Webshop als Teil des Gesamtbildes

Die Tatsache, dass ein einst spezialisierter Online-Shop sich recht einfach in einen Standard-Shop (idealerweise in der Cloud) verwandeln lässt, wirft die Frage auf, wie dieser Standard aussieht. Doch was Chemieunternehmen betrifft, sind viele noch nicht bereit für den E-Commerce. Die Systeme funktionieren noch wie vorgesehen. Aber die Zeiten haben sich geändert. Es sollte nicht das Ziel sein, technische Migrationen durchzuführen.

Webshops sollten Teil der allgemeinen Verkaufsstrategie sein – Teil eines Gesamtbildes, in dem Marketing und Kommunikation gut vertreten sind und sich alle einig sind, wie Erfolg und Kundenorientierung aussehen.

Ein Webshop braucht eine Seele. Er sollte die Ausrichtung und das Portfolio des Unternehmens widerspiegeln, denn das Ziel ist es, dass Kunden ihn gerne und häufig nutzen.

Über den Autor:

Pedro Ahlers ist Business Architect bei SAP.


Dieser Artikel wurde ursprünglich im Digitalist Magazine by SAP unter der Rubrik “Customer Experience” veröffentlicht.